Und weg bist du (German Edition)
seinen Tod mein Magen zusammen.
»Und damit rückst du erst jetzt raus?«
»Du hast mir ja schon bei dem Jason-Dezember-Brief nicht geglaubt. Da habe ich mich nicht getraut dir den Rest zu erzählen.«
Er legte den Gang ein, fuhr wieder auf die Straße und beschleunigte. »In den Nachrichten wurde aber nichts von einem erschossenen Jugendlichen gesagt. Und in Watertown wäre das eine große Story.«
»Vielleicht hält die Polizei die Information bewusst zurück.«
»Jetzt sei nicht albern.«
Verzweifelt schlug ich mit der Handfläche gegen das Armaturenbrett. »Schön! Ich habe alles erfunden, inklusive der Kids, die die Steine gegen deine Windschutzscheibe geschleudert haben.«
Für eine Weile blieb Noah stumm und schaute stur auf die Straße. Ich saß unterdessen mit verschränkten Armen auf dem Beifahrersitz und tat so, als würde es mir nichts ausmachen.
Er legte eine CD ein und jeder von uns hing seinen Gedanken nach. Ich musste an die Schule und Ms Chens Englischunterricht denken. Für den Aufsatz über Mary Shelley hatte ich bereits eine Verlängerung bekommen. Während der Frühjahrsferien sollte ich ihn zu Ende schreiben und ihn Ms Chen vor Montag mailen. Der Entwurf war auf meinem Laptop, das lag in meinem Wagen und der war verschwunden.
Ich beschloss mich nicht weiter darüber aufzuregen, da ich ohnehin nichts tun konnte. Stattdessen hörte ich bewusst Noahs Musik zu und stellte fest, wie ähnlich seiner und Jacks Geschmack waren.
Der Verkehr wurde immer zäher, je näher wir der Grenze kamen. Wir warteten in einer der Autoschlangen, die langsam in Richtung des Zollhäuschens krochen. Der Mann hinter dem Fenster bat um unsere Pässe und stellte einige Routinefragen, warum wir nach Kanada einreisen wollten. Noah behauptete, wir wollten eine Führung durchs Parlament machen und kämen bis zum Abend zurück. Daraufhin wünschte uns der Zöllner einen schönen Aufenthalt und winkte uns durch.
Erleichtert ließ ich mich in den Sitz zurücksinken, da unserem Besuch des Peace Towers jetzt nichts mehr im Wege stand. Ich schloss die Augen und die Anspannung begann von mir abzufallen. Bald wurde ich schläfrig. Eine Zeit lang versuchte ich dagegen anzukämpfen, doch dann gab ich nach.
Als ich wieder erwachte, setzte ich mich auf und rieb mir die Stirn.
»Wo sind wir?«
»Eine halbe Stunde vor Ottawa. Lass uns anhalten und etwas zu essen und zu trinken besorgen.«
Vor einem kleinen Laden am Straßenrand blieben wir stehen und kauften ein. Zehn Minuten später waren wir wieder unterwegs und fuhren auf einer von üppigen Bäumen gesäumten Allee, bis wir die Randbezirke Ottawas erreichten. Das Aprilwetter war wärmer geworden und wir überholten mehrere Radfahrer mit Helm und eng anliegendem Outfit. Auf dem Weg ins Zentrum musste Noah immer wieder abbremsen, weil wir einen kleinen Bus vor uns hatten, der dauernd anhielt, um neue Fahrgäste aufzunehmen.
Langsam näherten wir uns im Stop-and-go den wuchtigen Regierungsgebäuden im Herzen der kanadischen Hauptstadt. Ich blickte aus dem Fenster auf die mächtigen Bauwerke mit den prächtigen Steinmetzarbeiten. Viele der Kupferdächer waren grün angelaufen und hatten denselben Farbton wie die Freiheitsstatue. Ich fand, dass das Parlament mit seinen drei Hauptgebäuden eher wie ein englisches Schloss als wie ein Regierungssitz aussah.
»Ich habe ganz vergessen, wie beeindruckend es ist.«
»Stimmt«, pflichtete Noah mir bei.
»Bist du seit dem Schulausflug noch einmal hier gewesen?«
»Ja, ein paar Mal. Ottawa hat viel mehr Sport- und Unterhaltungsangebote als das kleine Watertown.«
Unser Ziel, der Peace Tower, erhob sich in der Mitte der Südfassade des sogenannten »Centre Blocks«. Auf jeder der vier Seiten des Turms befand sich eine Uhr. Außerdem beherbergte er ein Glockenspiel, eine Aussichtsplattform und das »Memorial Chamber«, einen großen Raum zum Gedenken an die Soldaten, die im Krieg für Kanada gefallen waren. Der Verkehr wurde kurz vor dem Eingang noch dichter, doch Noah fand schließlich nicht allzu weit entfernt einen Parkplatz. Wir stiegen aus und er steckte Geld in die Parkuhr. Vorsichtshalber nahm ich den braunen Umschlag mit, weil ich Angst hatte, irgendetwas im Auto liegenzulassen, nachdem meins gestohlen worden war.
Auf dem Weg zum Eingang kamen wir an zwei weißen Polizeiwagen mit blauen und roten Streifen und der Aufschrift RCMP vorbei, was »Royal Canadian Mounted Police« bedeutete. Kurze Zeit später gingen wir durch ein
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