Und weg bist du (German Edition)
vielleicht vergessen und nach Hause gehen.«
»Wie denn? Niemals könnte ich Jack im Stich lassen.«
»Er würde nicht wollen, dass du dich in Gefahr begibst.«
»Nein, aber nach dem, was ich heute Nacht erlebt habe, weiß ich, dass ich ihn finden muss. Es geschehen grausame Dinge und das bedeutet, wir sind nahe dran.«
sechzehn
GESTÄNDNISSE
Noah holte mein Kissen und gab mir noch eine weitere Decke, damit ich auf dem Sofa liegenbleiben konnte – wir waren uns einig, dass ich die restliche Nacht nicht in dem Raum verbringen würde, in dem ich angegriffen worden war. Trotz meiner Proteste ließ er sich in dem nahe stehenden Ohrensessel nieder. In einer Ecke des Wohnzimmers brannte noch eine Lampe, so dass es zum Schlafen ausreichend dunkel war, aber hell genug, um noch etwas sehen zu können.
Immer wieder sah ich im Traum den Eindringling vor mir und fuhr schweißgebadet hoch. Wenn ich dann zu Noah im Sessel hinüberschaute, wurde ich wieder ein wenig ruhiger. Er war mit einer hässlichen Patchworkdecke zugedeckt, die aus Stoffstücken in verschiedenen Brauntönen und verwaschenem Gold bestand. Ich kannte sie aus Seale House und war überrascht gewesen, dass er sie aufgehoben hatte.
Nach vielen Versuchen und Unterbrechungen entließ mich die Erschöpfung endlich in einen längeren Schlaf. Einige Zeit später strich mir Noah über die Wange und sagte meinen Namen. Verschwommen nahm ich wahr, dass er sich über mich beugte. Als ich blinzelnd zu ihm aufsah, fragte er, ob alles in Ordnung sei. Sein Finger, mit dem er mich berührt hatte, war nass. »Du weinst ja.«
»Ich weiß gar nicht, warum.« Verlegen wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht. Obwohl ich tief und traumlos geschlafen hatte, war die Niedergeschlagenheit nicht verschwunden. Ich fühlte mich ertappt, doch Noah schien eher besorgt.
Ich setzte mich auf und blickte auf die Uhr neben dem Spiegel. Es war fast vier. »Ich wollte dich nicht wecken.«
»Hast du auch nicht. Ich war schon wach.«
Ich rieb mir den Hals, drehte vorsichtig den Kopf und zuckte zusammen.
»Was ist los?«
»Der Typ hat mich so fest an den Haaren gezogen, dass mein Nacken noch immer wehtut.«
Noah setzte sich neben mich. »Lass mich mal …« Vorsichtig begann er die schmerzenden Stellen zu massieren.
»Bist du schon lange auf?«, erkundigte ich mich.
»Ja, schon eine Weile. In den frühen Morgenstunden, wenn ich nicht schlafen kann, vermisse ich Jack am meisten.«
»Ich vermisse ihn immer«, sagte ich so leise, dass ich mir nicht sicher war, ob er mich überhaupt hörte.
»Durch dich kommen natürlich viele Erinnerungen aus unserer gemeinsamen Kindheit wieder hoch.«
Die Spannung in meinem Nacken ließ nach und ich atmete tief durch. Ich war jetzt hellwach, obwohl es draußen noch dunkel war. »Ja, ich weiß, es ist seltsam, wie das Leben manchmal spielt. Glaubst du, dass das Schicksal uns drei zusammengeführt hat?«
»Das Glück vielleicht. An Schicksal glaube ich nicht.«
Seine Daumen kreisten über die Verspannungen und lockerten sie behutsam. Die Berührung löste bei mir jedoch mehr aus, als er ahnen konnte. Unwillkürlich reagierte ich auf die Wärme seiner Hände. »Wahrscheinlich hast du Recht. Nicht das Schicksal ist dafür verantwortlich, dass wir in Seale House gelandet sind, sondern unfähige Eltern, die ihre Kinder niemals aus der Klinik hätten mitnehmen dürfen.«
Noah grinste, doch sein Gesichtsausdruck war ernst. »Da hast du Recht. Nach dem, was Jack mir von eurer Mutter erzählt hat, bin ich überrascht, dass sie euch nicht direkt bei der ersten Gelegenheit abgegeben hat.«
»Wahrscheinlich hat sie immer wieder darüber nachgedacht. Aber ich glaube, für sie war die Vorstellung, ohne Jack zu leben, schlimmer, als uns am Hals zu haben.«
»Wie meinst du das?«
»Melodys Leben war ein Kreislauf, der daraus bestand, Männer kennenzulernen, mit ihnen zusammen zu sein und sich wieder von ihnen zu trennen. All ihre Beziehungen waren dem Untergang geweiht, weil sie selbst so kaputt war. Sobald die Typen merkten, was sich unter der hübschen Hülle verbarg, bekamen sie es mit der Angst zu tun. Selbst die Anständigsten hielten es nicht lange bei ihr aus. Uns schleppte sie mit auf dieser endlosen Suche nach dem richtigen Mann, weil sie Jack brauchte. Wegen ihrer unglücklichen Kindheit war sie depressiv und er half ihr damit zurechtzukommen.«
»Ich habe kein Mitleid mit Leuten, die ihr Fehlverhalten auf ihre Kindheit schieben.«
»Ich auch
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