Und weg bist du (German Edition)
angesehen hatte. Als ich seinen ernsten Gesichtsausdruck bemerkte, waren meine Träumereien endgültig wie weggewischt. »Ist es sehr schlimm?«
»Für dich nicht. Die verbrannte Haut ist von ihm, nicht von dir.«
»Was?«
Ich stand auf und eilte abermals zum Spiegel. Er folgte mir. Mein Hals war rot wie bei einem Sonnenbrand, aber lediglich dort, wo sich deutlich die Umrisse einer großen Hand abzeichneten. Ich drehte mich um und starrte Noah an. Mehr als ein Flüstern brachte ich nicht hervor: »Was geht hier vor sich?«
Langsam schüttelte er den Kopf. »Darauf weiß ich auch keine Antwort. Komm, setz dich wieder. Du bist ganz blass und ich will nicht, dass du ohnmächtig wirst.«
Er führte mich zum Sofa zurück, ich schlüpfte wieder unter die Decke und zog die Beine an. Noah verschwand ins Badezimmer und kehrte mit einer Brandsalbe zurück. »Lehn den Kopf zurück«, ordnete er an, während er sich neben mir niederließ.
Ich gehorchte und starrte auf das gedämpfte, gelbe Deckenlicht. Noah begann die Salbe behutsam auf den geröteten Bereich aufzutragen. Sie war kalt und ich glaubte die Umrisse der Hand zu spüren, die ich so heiß auf meiner Haut gefühlt hatte.
»Okay.« Er schraubte den Deckel wieder auf die Tube. »Alles wird gut.«
Ich setzte mich auf. »Glaubst du das wirklich, Noah? Diese ganzen Jahre habe ich mit all meiner Kraft versucht mich davon zu überzeugen, dass die vielen eigenartigen Begebenheiten in Seale House keine Bedeutung hätten. Dass sie wohl meiner allzu regen Fantasie zuzuschreiben waren. Ich wurde älter und begann in der richtigen Welt zu leben, wo alles von Logik beherrscht ist. Logik setzt Grenzen und das gefällt mir. Doch jetzt fühle ich mich wieder wie mit zwölf, als ich keinerlei Kontrolle über mein Leben hatte. Es geschehen Dinge, die ich nicht erklären kann.«
Ich schob meinen Ärmel hoch und zeigte ihm den Abdruck des Bisses. »Ein Mitbringsel aus dem Keller von Seale House.«
Mit ernstem Gesicht musterte er die Wunde.
»Sag mal, Noah? Glaubst du, dass Eckzahn vielleicht noch am Leben ist?«
»Nein, wie könnte er auch?«
»Ich weiß es nicht. Aber ich frage mich, ob mich im Keller derselbe Typ überfallen hat, der heute Nacht hier war.«
Einen Moment lang schwieg Noah und starrte weiter auf meinen Arm. Dann fragte er: »Warum hast du mir das nicht eher gezeigt?«
Achselzuckend zog ich den Ärmel wieder hinunter.
»Jocey, ich glaube, dass sich der Typ schlimmere Verbrennungen zugezogen hat als du. Kann es sein, dass du zum Selbstschutz Hitze ausgestrahlt hast?«
»Du meinst, dass ich übernatürliche Kräfte habe? Das wäre schön! Fehlt nur noch der Röntgenblick.«
»Gut, das war eine dumme Frage. Wenn du so etwas könntest, hättest du es in der Garage gegen mich angewandt.«
»So dumm ist die Frage nicht, angesichts der seltsamen Dinge, die hier vor sich gehen. Aber fest steht, dass ich so etwas vor oder nach meiner Zeit in Seale House nie erlebt habe. Wie kann es dann von mir ausgehen?«
Mir kam der bizarre Traum in den Sinn, den ich hatte, bevor ich angegriffen worden war. Noah sah es mir wohl an. »Was ist los?«
»Wahrscheinlich nichts … außer dass ich, kurz bevor mich der Typ überfallen hat, Jacks Stimme gehört habe. Er hat mir gesagt, ich solle aufwachen.«
»Du kannst nicht tatsächlich glauben, dass Jack im Traum zu dir gesprochen hat.«
»Na ja, ganz so unwahrscheinlich wie deine Theorie mit den übernatürlichen Kräften ist es nicht.«
»Wahrscheinlich nicht.«
»Kann es sein, dass der nächtliche Besucher zu den Kids gehörte, die die Steine auf die Windschutzscheibe geworfen haben?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe sie gerade bei der Polizei identifiziert. Sie dürfen es sich erst einmal in einer Zelle gemütlich machen, bis ihre Eltern sie rausholen.«
»Dann weiß ich auch nicht weiter. Warum hat der Typ die ganze Zeit gefragt, wo ›sie‹ versteckt ist? Was meint er?«
»Es gibt eine Menge Schwachköpfe auf dieser Welt.«
Seufzend schloss ich die Augen. »Ja, und ich habe meine Trefferquote eindeutig erfüllt. Außerdem ist das nicht einfach bloß ein weiteres zufälliges Ereignis. Ich glaube, es hängt alles zusammen.«
»Da stimme ich dir zu.«
Ich öffnete die Augen und schaute in sein besorgtes Gesicht. Nebeneinander lauschten wir der tickenden Uhr und dem leisen Knacken im Haus, während der Wind ungeduldig ans Fenster klopfte.
»Noah, ich habe Angst.«
»Dann solltest du die Jason-Dezember-Geschichte
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