Und weg bist du (German Edition)
Schließlich gebe ich mich auch noch mit dir ab, nach all dem, was du getan hast.«
Er erhob sich und blickte mit einem Gesichtsausdruck auf mich herab, den ich nicht deuten konnte. »Sind wir jetzt mit diesem Thema durch? Wir müssen herausfinden, warum Jack uns hierhergeführt hat.«
Es begann zu nieseln, was den Geruch der ohnehin feuchten Luft versüßte. Auf keinen Fall würde ich es ertragen, Hazel noch einmal zu sehen. Warum hatte ich nur unbedingt nach ihr suchen wollen? In mir schwelten zu viele widersprüchliche Gefühle, doch eins wusste ich: Mit ihnen würde ich mich erst auseinandersetzen können, wenn ich Jack gefunden hätte. Wenn ich meinem Bruder schließlich gegenüberstünde, würde er mir unter anderem die schwierige Frage beantworten müssen, warum er uns hierhergebracht hatte.
»Gut«, sagte ich schließlich und stand auf.
Wir kehrten zu dem Gebäude zurück und ich wappnete mich dafür, der alten Frau abermals gegenüberzutreten.
sechsundzwanzig
GEHEIMSCHRIFT
Hazel saß jetzt nicht mehr im Rollstuhl, sondern vornübergebeugt in einem Sessel vor dem Fernseher. Ihre Finger klammerten sich um die Fernbedienung. Der Ton war leise gestellt. Wie gebannt starrte sie auf Seifenopern, Quizshows und Werbung, während sie sich durch die einzelnen Programme schaltete.
Noah zog den zweiten Stuhl heran und griff nach der Fernbedienung, die Hazel aber sofort an sich riss. »Hazel«, sagte er mit sanfter Stimme, »wie wäre es, wenn du das ausschaltest, damit wir uns unterhalten können?«
Sie schüttelte den Kopf, so dass die steingraue Helmfrisur wackelte. Die Augen hielt sie nach wie vor auf den Bildschirm gerichtet. Trotz ihres Alters und der geistigen Umnachtung verspürte ich das dringende Bedürfnis, sie zu ohrfeigen. Stattdessen sagte ich: »Kannst du nicht ein Mal in deinem Leben nett zu Noah sein?«
Ihr Blick schnellte zu mir herüber. »Du bist dieses böse Mädchen! Du hast die Tür verriegelt, stimmt’s?«
Für einen Rückzieher war ich nicht bereit. Mit kalter Abscheu starrte ich sie an.
»Lass mich das lieber machen«, bat Noah.
Mit dem Blick gab er mir zu verstehen, dass ich anfangen sollte das Zimmer zu durchsuchen. Ich verschwand aus Hazels Sichtfeld und ihre Augen bewegten sich wieder in Richtung Fernseher. Noah versuchte es abermals. »Hazel, erinnerst du dich an meinen Freund Jack?«
Sie antwortete nicht.
»War Jack hier und hat dich besucht?«
»Jack? Nein, ich glaube, es war Ronald«, sagte Hazel, während auf dem Bildschirm Werbung für das neuste Fast-Food-Menu lief.
»Weißt du noch, dass Jack ziemlich schlau war? In der Schule hatte er immer gute Noten und er hat mir beim Schneeschieben geholfen. Wir haben öfter zusammen diese Schokoladen-Cookies gebacken, die du so gern mochtest.«
Keine Antwort.
Während Noah geduldig ihrem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen versuchte, schaute ich mich in dem Zimmer um. Ich begann mit der kleinen Pinnwand, an der einige Zettel und eine Karte hingen. Keiner der Zettel enthielt einen Hinweis und die Geburtstagskarte war von einer Versicherung. Hazel gehörte nicht zu der Sorte älterer Damen, der andere Menschen Aufmerksamkeit schenkten, abgesehen von den Angestellten des Heims, die dafür bezahlt wurden.
Abermals betrachtete ich die Fotos von Noah als Baby und Kleinkind und wurde von einer seltsamen Melancholie ergriffen. Ich war sauer auf Jack, denn ich hätte den Rest meines Lebens gut verbringen können, ohne die Wahrheit über Hazel und Noah zu wissen.
Nachdem ich auch den Nippes auf den Regalen und auf der Kommode gemustert hatte, öffnete ich behutsam eine der Schubladen. Hazels Sachen zu durchwühlen war mir unangenehm, doch da Noah mit seinen Fragen keinerlei Fortschritte erzielte, machte ich weiter. In den ersten beiden Schubladen fand ich nicht viel. In der dritten entdeckte ich unter mehreren Alte-Frauen-Hosen eine kleine schwarze Lederkiste. Ich öffnete sie. Darin lag in einer Schaumstoffeinbettung ein glänzendes Stahlmesser. Um den Griff war rotes Papier gewickelt.
»Diebin!«, rief Hazel und es klang so vertraut, dass ich zusammenzuckte. Als ich mich umdrehte, sah ich ihren bösen Blick. »Raus mit dir!«
»Beruhige dich, Hazel, ich kümmere mich darum«, versuchte Noah sie zu beschwichtigen.
Sie warf die Fernbedienung nach mir. Ich duckte mich und sie flog an mir vorbei gegen die Wand. Als sie auf den Boden knallte, fielen die Batterien heraus.
Noah griff nach ihrem Handgelenk und schaltete den
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