...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst
Welt.«
»Reden Sie auch über persönliche Dinge? Über Tanjas Pläne zum Beispiel, ihre Träume? Oder einfach, was sie am nächsten Tag vor hat? Mit wem sie sich trifft?«
»Tanja geht nicht aus. Sie liest lieber ein Buch.«
»So? Wir waren Freitag in einer Disco. Sie wäre beinah mit dem erstbesten Typen ins Bett gesprungen.«
»Was Sie hoffentlich verhindert haben!« donnerte Walter Kanter.
»Ja, aber was wird beim nächsten Mal? Tanja ist einsam und in emotionaler Hinsicht absolut naiv, fast wie ein Kind. Sie könnte die Aufmerksamkeit und den Rat ihres Vaters gut brauchen. Eine bessere Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen, werden Sie nicht bekommen. Zeigen Sie ihr einfach, dass Sie an ihrem Leben interessiert sind. Mehr will sie gar nicht.«
»Aber wie soll ich das machen?« Das erste Mal sah Michaela ihren Chef sich mit hilfloser Geste durch die Haare streichen.
Michaela kam eine Idee. »Laden Sie zum Beispiel die neue Freundin Ihrer Tochter zum Abendessen ein. Das wird Tanja freuen.«
Walter Kanter dachte nach. »Ja, das könnte was bringen«, sagte er dann. »Also gut. Kommen Sie heute Abend bei uns vorbei. Wir essen um acht.«
»Nicht so.« Michaela schüttelte den Kopf. »Überraschen Sie Tanja mit dem Angebot. Sagen Sie ihr, Sie wollen ihre Freundin gern kennenlernen.«
Kanter nickte. »Sie haben Recht. Gut, dass wir so getan haben, als kennen wir uns nicht. Dabei müssen wir es belassen.«
Autsch! Danke, dass du mich daran erinnerst, was für eine Lügnerin ich bin. Ich hatte eben schon den Anflug von Selbstzufriedenheit, weil ich meine eigene Idee genial fand.
»Ja«, sagte Michaela. »Und machen Sie nicht den Fehler, den ganzen Abend von Ihrer Firma zu erzählen«, warnte sie Kanter eindringlich. »Damit würden Sie Tanja sehr verärgern. Das Tischgespräch muss persönlicher Natur sein.«
»Ich werde es versuchen, auch wenn ich darin wenig Übung habe.«
»Am besten eignen sich Erinnerungen an gemeinsame Ausflüge, Urlaub oder ähnliches.«
»Da gab es nicht so viele«, gestand Kanter.
»Dann müssen die wenigen eben reichen. Oder der Einschulungstag, die Konfirmation und so weiter.«
»Ich werde mich gründlich vorbereiten.«
»Tun Sie das, aber machen Sie keinen Krampf daraus. Und keine Bange. Ich werde Ihnen schon helfen, wenn ich merke, Sie bleiben hängen.«
Walter Kanter schaute Michaela offen an. »Danke«, sagte er. »Ich hätte keine Bessere für diese Aufgabe auswählen können. Und Sie wissen ja, es wird Ihr Schaden nicht sein. Ich stehe zu meinem Angebot.«
Michaela seufzte. Daran erinnert zu werden war das letzte, was sie brauchte. –
Tanja rief Michaela nachmittags an und wartete mit der »Neuigkeit« auf. Ihre Stimme war voller Begeisterung. »Stell dir vor, er hat mich extra aus dem Büro deswegen angerufen! Ich war total baff. Du kommst doch, oder?«
»Gern. Ich hoffe nur, ich habe die passende Garderobe für euer vornehmes Haus.«
»Es sind ja nur wir drei da. Außerdem hast du bisher immer toll ausgesehen, egal wie gekleidet.«
Michaela lächelte müde vor sich hin. Es war typisch für Tanja, so ein Kompliment auszusprechen, ohne sich weitere Gedanken zu machen. Sie empfand es so, also sagte sie es. »Sag deinem Vater Danke für die Einladung. Bis heute Abend dann.« Sie legte auf, wollte sich weitere gefühlsbetonte Äußerungen Tanjas ersparen. Sie war empfänglich dafür. Wer konnte wissen, wohin das führte?
Diese Vater-Tochter-Kiste zerrte an Michaelas Nerven. Statt sich da geschickt herauszulavieren, verstrickte sie sich immer mehr. Nun war sie auch noch bei Kanters zum Abendessen eingeladen. Wohlgemerkt ihrer eigenen Idee wegen!
Das Ganze nahm immer groteskere Züge an. Zuerst war es nur die Tochter, die sich ihr anvertraute, nun schien auch der Vater sie als Ratgeberin zu brauchen.
»Guten Abend«, begrüßte Walter Kanter Michaela freundlich. »Schön, dass Sie kommen konnten. Ich freue mich, dass meine Tochter eine neue Freundin gefunden hat. Noch dazu eine, die offensichtlich so guten Einfluss auf sie hat. Ich will Ihnen nicht verhehlen, dass die Verwandlung von Tanja mich stark beeindruckt hat.«
Sie standen in der hohen, hellen Eingangshalle. Michaela lächelte freundlich. »Manchmal braucht es nur wenig, um eine große Veränderung zu bewirken.«
»Wem sagen Sie das. Das erlebe ich tagtäglich in meiner Firma.«
Michaela warf Kanter einen warnenden Blick zu.
»Aber darüber wollen wir heute Abend nicht reden«, reagierte er
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