...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst
Missmut.
»Ganz recht. Denn ich bin nicht wie er. Und ich will auch nicht wie er werden. Ich dachte, das wüsstest du.« Tanja sah Michaela vorwurfsvoll an.
Michaela fand es süß, wie Tanja versuchte sich stur zu geben. »Ja, natürlich«, räumte sie beschwichtigend ein. Unbewusst legte sie ihre Hand auf Tanjas Oberschenkel. »Dennoch, mir drängt sich der Eindruck auf, dass dir die Hotellerie an sich weniger verhasst ist, als du vorgibst.«
»Wie kommst du auf die Idee?« fragte Tanja vorsichtig.
»Lass mich mal rekapitulieren. Du bist gerade einen halben Tag dabei, da hast du bereits einen ziemlich guten Entwurf für eine Menükarte erstellt und . . .«
»Das hat ja nun nichts mit Hotellerie zu tun«, unterbrach Tanja. »Lediglich mit graphischen Anwendungen am Computer.«
». . . und mit traumwandlerischer Sicherheit verhinderst du eine drohende Katastrophe in der Eingangshalle«, fuhr Michaela ungeachtet Tanjas Einwurf fort. Jetzt fiel ihr auf, wo ihre Hand lag. Sie zog sie unauffällig zurück.
»Ich sagte es ja schon, ein Glückstreffer, nichts weiter«, beharrte Tanja.
Michaela schüttelte den Kopf. »O nein. Du hast Spaß daran. Solche Erfolge, auch wenn sie nur klein sind, erzielt man nicht zufällig oder aus einer Laune heraus. Das erfordert Interesse für die Sache und Einfühlungsvermögen.«
»Du bist wohl unter die Psychologinnen gegangen?« witzelte Tanja. Der Klang ihrer Stimme verriet jedoch, dass ihr nicht lustig zumute war.
»Man muss keine Psychologin sein, um das zu erkennen«, sagte Michaela. »Gib es einfach zu.«
»Wenn dich das glücklich macht.« Tanja tat genervt.
Oder war sie es wirklich? Michaela vermochte es nicht zu sagen. »Mich?« fragte sie. »Mir kann es ja egal sein.«
»Na prima«, rief Tanja aufatmend. »Dann können wir hoffentlich endlich das Thema wechseln.«
Michaela tat Tanja den Gefallen. »Kannst du mal auf die Wegbeschreibung sehen? Muss ich hier nicht bald links abbiegen?« fragte sie.
Tanja schaute auf den Ausdruck des Routenplaners, den sie in Michaelas Büro gemacht hatte. »Ja, an der übernächsten Kreuzung.«
»Etwas triste Gegend hier«, meinte Michaela, während sie den Wagen in die Linksabbiegerspur einordnete. »Magst du grau?«
»Meine Grauphase habe ich vor kurzem überwunden.« Tanja lächelte Michaela verschmitzt an. Ihren Groll schien sie schon wieder vergessen zu haben. »Dank einer gewissen Person bin ich jetzt mehr für Farben, Frische und Leben.«
»Dann fahren wir am besten gleich weiter zu Wohnung Nummer zwei.«
»Guter Vorschlag.«
»Wo lang?«
»Statt links abbiegen wenden um hundertachtzig Grad.«
Wohnung Nummer zwei war ein voller Erfolg. Eine kleine, aber helle Zweizimmerwohnung, die Tanja sofort beziehen konnte, in freundlicher Umgebung, mit Nähe zu einem kleinen Park. Entscheidender Vorteil: Die Wohnung war möbliert, und der Vermieter erwies sich als unkompliziert. Nach Absprache der Formalitäten übergab er Tanja gleich den Schlüssel.
Die ging, noch völlig fassungslos über soviel Glück, zum wiederholten Mal durch die Zimmer, sah sich zaghaft um. »Es ist das erste Mal, dass ich allein wohnen werde. Das wird irgendwie . . . komisch.«
Michaela strich ihr beruhigend über den Arm.
Tanja atmete einmal tief durch. »Ach was, ich gewöhne mich schon dran.«
»Da bin ich mir sicher.« Michaela lächelte. »Wollen wir gleich deine Sachen aus dem Hotel holen?«
Tanja nickte.
»Unterwegs kaufen wir noch ein paar Dinge ein, die du brauchst. Insbesondere was Essbares«, schlug Michaela weiter vor.
»O ja. Kochen wir heute Abend zusammen?« Tanjas Augen leuchteten Michaela erwartungsfroh an.
Die hatte nicht das Herz, Tanja die Bitte abzuschlagen.
»Na gut, damit du dich den ersten Abend nicht gruselst«, willigte sie ein.
Sie fuhren zurück zum Hotel und anschließend in den Supermarkt. Mit einem Berg von Einkauf kehrten sie in Tanjas neue Wohnung zurück. Die kleine Küche, in der sie alle Tüten ablegten, quoll förmlich über. Ihre Reisetasche stellte Tanja im Flur ab.
Michaela sah sich skeptisch um. »Vielleicht war das mit dem gemeinsamen Essen doch keine so gute Idee«, meinte sie. »Du musst dich erst mal einrichten. Wollen wir es nicht verschieben?«
Tanja sah Michaela inständig an. »Nein, bitte nicht. Ich will jetzt nicht allein sein. Alles ist so fremd. Ich brauche etwas Zeit, mit der neuen Umgebung warm zu werden. Das geht viel besser, wenn jemand Vertrautes dabei ist. Bitte!«
Michaela
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