...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst
nicht in meiner Absicht, dich zu kränken.«
Tanja stand auf, kam zu Michaela zum Fenster. Beängstigend nah. Tanjas Blick hielt Michaela fest. »Ich bin auch nicht so dumm, dir länger abzukaufen, dass deine Trennung von Vanessa dich so sehr mitnimmt. Das gibst du nur vor, um mich auf Abstand zu halten.«
Achtung Michaela. Das Gespräch nimmt eine gefährliche Wendung!
»Ich spüre, dass auch du etwas für mich empfindest. Du versuchst es zu verbergen. Von Anfang an hast du deine Gefühle verleugnet. Ich habe gedacht, es wäre, weil du mit Vanessa zusammen warst. Doch jetzt tust du es immer noch. Ist es, weil ich noch keine Erfahrungen mit Frauen habe? Oder denkst du, ich will es nur mal ausprobieren?« Tanjas Stimme klang jetzt traurig. »Vielleicht sollte ich mich mit einer anderen Frau einlassen, damit du mich ernstnimmst.«
Michaela sah Tanja entsetzt an. »Das wäre dann aber wirklich kindisch!«
»Natürlich«, seufzte Tanja. »War ja auch nicht ernstgemeint. Ich suche einfach nur einen Weg, dich aus deiner Reserve zu locken.« Sie hob die Hand, streichelte schüchtern Michaelas Wange.
Michaela hielt still, erlaubte sich für wenige Sekunden einer Illusion nachzugeben. Sie schloss die Augen. Als sich Tanjas andere Hand um ihre Taille legte, wusste Michaela, dass der kurze Moment vorbei war. Sie öffnete die Augen, wollte sich Tanja entziehen – doch sie begegnete Tanjas sanftem Blick, aus dem ihr eine Welle der Zärtlichkeit entgegentrieb, sie einfing und mit sich führte.
Dass sie sich nach Tanjas Lippen gesehnt hatte, wurde Michaela in der Sekunde bewusst, als deren Berührung sie innerlich verbrannte. Tanjas Kuss, so weich und dennoch bestimmt, fast fordernd, war jedenfalls absolut nicht naiv. Wenn Tanja ihr beweisen wollte, wie leidenschaftlich sie sein konnte, gelang ihr das gerade sehr gut. Oder empfand Tanja wirklich so ein starkes Begehren für sie?
In Michaelas Kopf geriet alles durcheinander. Ihre eigene Sehnsucht, von deren Ausmaß sie bis eben selbst nichts geahnt hatte, lähmte ihren Willen, sich Tanjas Gefühlsausbruch zu widersetzen. Statt dessen legten sich Michaelas Hände um Tanjas Taille, zogen sie an sich. Ohne weiter darüber nachzudenken ließ Michaela sich ganz und gar auf diesen Kuss ein, streichelte dabei zärtlich Tanjas Nacken und Rücken. Erst als ihre Hand schließlich Tanjas Brust streifte und Tanja unter der Berührung leicht erschauerte, gewann Michaelas Verstand schließlich wieder die Oberhand. Vorsichtig löste sie sich. Betreten sah sie Tanja an.
»Ich . . . das war . . . ein Versehen.« Klar, Michaela! Was Blöderes fällt dir wohl nicht ein?
Tanja lächelte sanft. »Hoffentlich nicht.«
»Ich . . . du hast mich überrumpelt. Schließlich bin ich nicht unempfänglich für derartige . . . Reize.«
»Reize? Sieh einer an, du kannst es ja doch. Mich als Frau sehen, meine ich.«
»Das war . . . « Michaela räusperte sich. »Das war nicht zu vermeiden.«
»Klingt, als bereust du es bereits«, stellte Tanja betrübt fest.
»Tanja! Das ist nicht so einfach.«
»Das verstehe ich nicht. Was ist daran nicht einfach? Ich mag dich, du magst mich, lass uns sehen, was daraus wird. Mehr will ich ja gar nicht.«
Michaela seufzte. Ja, das klang nach einer richtig guten Idee. Unter normalen Umständen. Wenn Frau zufällig Frau kennenlernte, man sich näherkam und so weiter.
»Ich gehe jetzt besser«, sagte Michaela.
»Du meinst, du flüchtest«, korrigierte Tanja.
Michaela tat, als hörte sie den Vorwurf nicht. »Wir sehen uns morgen.«
»Willst du das denn überhaupt?« fragte Tanja enttäuscht hinter ihr her. »Vielleicht sollte ich besser wieder nach Hause fahren.«
Michaela drehte sich noch einmal um. »Das musst du für dich selbst entscheiden.«
13.
T anja erschien am nächsten Morgen pünktlich um acht Uhr zur Arbeit in Michaelas Büro. »Was steht heute auf dem Programm, Chefin?« fragte sie burschikos.
Michaela kam die demonstrativ an den Tag gelegte Frische spanisch vor. »Alles in Ordnung?« fragte sie vorsichtig.
»Was glaubst du?« erwiderte Tanja gutgelaunt.
»Du bist nicht sauer auf mich?«
Tanja sah Michaela offen an. »Weswegen sollte ich das sein?«
»Nun ja, du warst gestern Abend sehr enttäuscht.« Michaela hatte den Klang von Tanjas Stimme nicht vergessen. »Da wäre es verständlich, wenn du nicht gut auf mich zu sprechen wärst.«
»Stimmt, im ersten Moment war ich enttäuscht.«
»Nur im ersten Moment?« wunderte
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