...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst
Vorstellung gewesen. Beim Betreten der Insel wurde diese Vorstellung zum ersten Mal mit realen Bildern gefüllt.
An diese neue Situation musste Tanja sich erst gewöhnen. Sie brauchte etwas Zeit für sich. Und die würde sie bekommen, wenn sie diesmal Michaela die Arbeit allein machen ließ. Michaela war ohne Zweifel dazu in der Lage. Tanja hoffte, dass die zwei Tage hier genügen würden, um wieder in bessere Form zu kommen. Die Umstände zehrten doch mehr an ihren Nerven, als sie sich ursprünglich eingestanden hatte.
Nach dem Abendbrot saßen sie zusammen auf der Terrasse des Bungalows, sahen auf das faszinierende Farbenspiel der untergehenden Sonne. Tanja nahm einen Schluck Rotwein, von dem sie eine Flasche bestellt hatten.
Michaela wandte ihre Augen vom Sonnenuntergang ab und schaute zu Tanja. Die Frage, welcher Anblick ihr lieber war, schwirrte durch ihren Kopf, und die Entscheidung fiel klar zu Tanjas Gunsten aus. Nichts konnte Tanjas Gegenwart aufwiegen, nicht einmal diese Idylle.
Michaela sah wieder in die untergehende Sonne, sann über sich und Tanja nach. Jetzt fühlte sie Tanjas Blick auf sich ruhen. Ihre Augen begegneten sich.
»Hast du den Tag genossen?« fragte Michaela mit sanftem Lächeln.
»Hm?« Tanja hatte offensichtlich nicht zugehört.
»Hast du den Tag genossen?« wiederholte Michaela ihre Frage.
»Oh, ja, ja.«
»Das ist schön«, sagte Michaela leise. »Du sahst die letzte Zeit ziemlich mitgenommen aus.«
Tanjas Blick sandte die Antwort: Wundert dich das?
Michaela seufzte. »Du wirst mir das nie verzeihen, nicht wahr?« fragte sie tonlos.
Tanja stand auf, ging die wenigen Schritte bis zum Ende der Terrasse, in die hereinbrechende Dunkelheit. Sie stand jetzt mit dem Rücken zu Michaela. »Dazu ist zu viel passiert«, sagte sie mit belegter Stimme.
Michaela stand ebenfalls auf, trat hinter Tanja, legte die Hand auf ihre Schulter, drehte sie vorsichtig zu sich herum. Sanft strich sie über Tanjas Wange.
Einem Impuls folgend lehnte Tanja sich an Michaela, umarmte sie vorsichtig. »Aber glaub mir, ich wünschte, ich könnte es«, flüsterte sie.
Michaela streichelte versonnen Tanjas Rücken. Tanja ließ es zu. Nur ganz kurz, sagte sie sich, während sie Michaelas Wärme wohlig in sich aufnahm.
So standen sie eine Weile, bis Tanja sich vorsichtig von Michaela löste. »Lass uns ins Haus gehen«, sagte sie leise. »Es wird kühl.«
Aber Michaela hielt ihre Hand fest, strich erneut über Tanjas Wange. Tanja zitterte leicht. Und es war nicht die kühler werdende Abendluft daran schuld.
Michaela sah Tanja zärtlich an.
Der inständig bittende, schmerzliche Ausdruck in Michaelas Augen tat Tanja im Herzen weh. In diesem Moment vergaß sie ihren eigenen Schmerz. In diesem Moment war Michaela für sie die Freundin, die litt. Die Frau, die sie liebte, egal wie sehr sie sie verletzt hatte. Dieser Frau konnte sie nicht verbieten, sie in ihre Arme zu nehmen. Sie wollte es nicht. Sie sehnte sich nach Michaela, mit jeder Faser ihres Herzens. Tanja fragte sich nicht weiter, wie das möglich war. Sie ergab sich einfach diesem Gefühl.
Nicht die Berührung von Michaelas Lippen überraschte Tanja, sondern deren Sanftheit. Sie strichen als ein leichter Hauch über die ihren. Schon entfernten sie sich wieder. Bevor der Abstand größer werden konnte, fand Tanjas Hand Michaelas Nacken, streichelte ihn sanft und zog Michaela wieder zu sich. Ihre Lippen trafen sich erneut.
Anfangs erwiderte Michaela den Kuss noch zögernd, als warte sie auf ein jähes Ende von Tanjas Umarmung. Doch die Unsicherheit schwand mit jeder Sekunde mehr, in der Tanja sie festhielt. Michaela wurde mutiger, leidenschaftlicher.
Tanja fühlte einen Schauer durch ihren Körper laufen. Er traf sie tief in ihrem Inneren, dort, wo ihre Sehnsucht vergraben war. Wie die unzähligen kleinen Schneeflocken einer Schüttelfigur, die plötzlich bewegt wurde, wirbelte Michaelas Kuss Tanjas Gefühle durcheinander. Und im selben Maß, wie Michaelas Leidenschaft zunahm, verstärkte sich der Wirbelsturm in Tanjas Innerem. Sie strich mit zittrigen Händen erst über Michaelas Hüfte, dann an deren Taille entlang.
Als Antwort verstärkte Michaela den Druck ihrer Lippen, schob ihre Hände unter Tanjas T-Shirt, berührte deren Haut überall gleichzeitig. Ihren Bauch, ihre Brüste, ihren Rücken.
Tanja fragte sich, wie lange sie diese Berührungen aushalten würde, ohne dass ihr die Beine einknickten. »Michaela«, keuchte sie. Die Intensität
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