Und wenn es die Chance deines Lebens ist
seinem Vater. Dieser plagte sich mit einem Tannenbaum herum, der doppelt so groß war wie der Junge. »Sie haben sie gerade bei Mammouth hereinbekommen. Ich habe den schönsten genommen.«
Seine Mutter hob kaum den Blick und murmelte nur: »Oje, da werden wieder überall Nadeln herumliegen.« Tatsächlich hatte der Baum schon jetzt bis ins Esszimmer eineSpur aus Nadeln, kleinen Zweigen und Erde hinter sich zurückgelassen.
Frédéric half seinem Vater, den Baum in die Ecke zwischen dem Kamin und dem kleinen Bücherschrank mit den Glastüren zu stellen, auf dem neben dem Telefonbuch das Telefon stand. Darüber war mit einer Reißzwecke der Kalender an der Wand befestigt. Dann gingen sie beide in den Schuppen. Sein Vater stellte sich auf einen Hocker und holte aus dem obersten Fach eines Regals den Karton mit dem Weihnachtsschmuck herunter.
An diesem Nachmittag war Frédéric voll und ganz mit dem Schmücken des Christbaums beschäftigt und sein Vater auch. Doch von Zeit zu Zeit, wenn seine Mutter mit dem Kehrblech und dem Handfeger kam, um die Tannennadeln und die kleinen silbernen Schnipsel von den Girlanden wegzufegen, sprachen die Erwachsenen untereinander. Als seine Mutter die Krippe aufstellte, setzten sie das Gespräch fort, und der kleine Frédéric hörte zu.
»Nein, du kannst am Dienstag nicht zum Zahnarzt gehen«, sagte sein Vater. »An diesem Tag muss ich nach Giverny fahren, und ich komme erst spät zurück. Ich habe es dir schon vorgestern gesagt. Außerdem habe ich es im Kalender angestrichen, damit du es nicht vergisst. Da.«
Er zeigte mit dem Finger auf das Kalenderblatt des Dezembers, auf das ein Kind am 25. das Wort »Weihnachtsmann« geschrieben hatte.
»Was machst du denn in Giverny?«, fragte seine Frau.
»Genau das, was ich dir vorgestern schon gesagt habe. Es geht um den Kalender für 81. Roger möchte die Heuschober von Monet, du weißt schon, dem Maler, in demKalender veröffentlichen. Wir müssen mit den Erben verhandeln, und da es bis Giverny nicht so weit ist, ist es am besten, das persönlich zu tun. Roger hat den Termin vereinbart. Frédéric, pass mit der Lichterkette auf, sonst bekommst du noch eine gewischt. Warte, lass mich das machen, mein Junge.«
32 Jahre später erinnerte Frédéric sich, dass auf dem Bild des Kalenders über dem Telefon für den Monat Dezember Die Elster von Monet abgebildet war.
Pétronille, die auf der anderen Seite von Paris im 12. Arrondissement noch spätabends in ihrer Wohnung arbeitete, erhielt die Nachricht von Frédéric. Ernest Villiers. Der Name sagte ihr etwas, aber sie konnte ihn nicht einordnen. Frédérics Mandanten waren alle irgendwie bekannte Leute, und sie hatte den Namen Villiers sicherlich in irgendeinem Zeitungsartikel gelesen. Sie schrieb Villiers/F. Nile auf die lange Liste der Dinge, die sie erledigen musste, und sprang erschrocken auf, als sie den Namen Witherspoon las, der rot unterstrichen war. Sie hatte vergessen, ihn anzurufen, um den Termin zu verschieben. Das würde sie morgen früh auf jeden Fall gleich als Erstes tun, und um es nicht zu vergessen, unterstrich sie den Namen mit einem orangefarbenen Marker.
Obwohl Pétronille erschöpft war, konnte sie sich nicht entschließen, ins Bett zu gehen. Den Ellbogen auf einen Stapel von Dokumenten gestützt und ihre Wange in die Hand geschmiegt, surfte sie im Internet. Sie dachte an das Fest anlässlich des 40. Hochzeitstages ihrer Eltern. Nein, es sollte keine ausschweifende Party werden, sondern eine ganz zwanglose Familienfeier bei Dorothée. Doch Dorothée, die immer eher klotzte als kleckerte, würde ihre ohnehin sehr schicke Wohnung in ein Märchenschloss verwandeln. Ihre Schwester hatte ihr anvertraut, dass sie noch eine Person mehr eingeplant habe. Das war ihr wichtig wegen des Horoskops. Aber das war natürlich absurd. Wie sollte Pétronille innerhalb von acht Tagen jemanden kennenlernen?
Dennoch stellte Pétronille sich vor, dass sie von einem Mann begleitet wurde. Von einem großen braunhaarigen, intelligenten Mann mit tadellosen Manieren in einem Smoking ... Die anderen Gäste würden ihn fragen, wie die Partys bei Castel mit Dany Simonet so waren ...
Pétronille setzte sich ruckartig gerade auf und versuchte, diesen lästigen Gedanken abzuschütteln. Es wurde wirklich höchste Zeit für sie, ins Bett zu gehen. Morgen – oder vielmehr heute – würde sie ihre ganze Konzentration brauchen, um in dem besagten Krankenhaus in Pontoise ihre Recherchen
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