Und wenn es die Chance deines Lebens ist
sparen, solange sie noch keinen neuen Job hatte. Sie brachte sie mit dem Argument zum Schweigen, dass sie in diesem Monat noch bezahlt wurde, auch wenn sie nicht mehr für Frédéric arbeitete. Unter anderem hatte Pétronille, ihre warnende innere Stimme einfach ignorierend, rosarotes Konfetti aus Zuckerguss zur Dekorierung der Windbeutel gekauft. Jetzt lief sie durch das Schwulenviertel mit all den kleinen Blumengeschäften, Confiserien und Retromode-Boutiquen. Ihr Handy klingelte. Dorothée war dran.
»Hallo, Dolly!«
»Bist du unterwegs? Dann kauf dir eine Libération und sieh dir die vorletzte Seite an«, sagte Dorothée.
»Und was steht da?«
»Das ist eine Überraschung. Kauf dir die Zeitung und ruf mich an.«
Pétronille lief zu einem Zeitungskiosk und besorgtesich eine Libération . Als der Verkäufer ihr das Wechselgeld gab, suchte sie sofort den entsprechenden Artikel, rief »ah« und schlug erschrocken eine Hand vor den Mund. Der Verkäufer fragte sie, ob alles in Ordnung sei. Sie beruhigte ihn und ging schnellen Schrittes auf ein Café zu. Als sie sich auf der Terrasse an einen Tisch gesetzt hatte, fragte ein Typ mit dicken tätowierten Armen und einem dünnen Stimmchen sie nach ihren Wünschen. Pétronille bestellte sich einen Milchkaffee und ein Croissant und las den ganzen Artikel durch. Auf dem großen Foto, das eine halbe Seite der Zeitung einnahm, posierte halb nackt die wunderschöne Marcia Gärtener. Schwanger.
»Glaubst du, er ist der Vater?«, fragte Dorothée.
»Ich würde sagen, ja. Von der Zeit her käme es hin.«
»Und du bist sicher, dass sie nicht mehr zusammen sind?«
»Du hast die Wohnung doch gesehen«, rief Pétronille. »Er hat sogar eine Wand herausbrechen lassen, um seine Gemälde aus größerem Abstand bewundern zu können. Jetzt hat er ein Zimmer weniger. So bereitet man sich wohl kaum auf Nachwuchs vor.«
»Stimmt. Womöglich weiß er gar nichts davon.«
»Er weiß nicht, dass sein Vater im Krankenhaus liegt, und er weiß nicht, dass er seine Ex geschwängert hat. Ich würde sagen, es gibt da so einiges, was dieser Mann nicht weiß. Aber da es jetzt alle Leute in Frankreich und in den französischen Departments in Übersee wissen, nehme ich an, dass nun auch er Bescheid weiß. Pech für ihn ...«
Sie unterhielten sich eine Weile, während Pétronillezerstreut die Zeitung durchblätterte. Dorothée sprach über die Probleme alleinerziehender Mütter. Pétronille, die nur noch mit halbem Ohr zuhörte, riss ein Stück aus der Zeitung heraus, auf dem in Großbuchstaben SOLIDARITÄT stand. Das Wort würde sie auf ihre Schatzkarte kleben, die fast fertig war. Schließlich beendete sie das Telefonat, trank den Kaffee aus und legte das Geld auf den Tisch. Pétronille wollte die Zeitung schon für den nächsten Gast auf ihrem Stuhl liegen lassen, als ihr plötzlich ein Gedanke kam. Wenn Frédéric der Vater des Kindes war, bedeutete das dann nicht auch, dass Ernest Großvater wurde?
Natürlich wusste er es. Er wusste es seit ihrem letzten gemeinsamen Abend. An jenem Abend, nachdem alles gesagt war, liebten sie sich ein letztes Mal. Fünf Jahre ihres Lebens waren sie ein Liebespaar gewesen, doch Marcia wünschte sich genau das, was Frédéric ihr nicht zu geben vermochte: ein Kind. Er hätte alles für sie getan, ihr Schmuck und Gemälde der großen Meister geschenkt, Vorhängeschlösser mit ihren Initialen an den Pariser Brücken aufgehängt oder ihr die Sterne vom Himmel geholt. Das Versprechen, das er dem siebenjährigen Kind gegeben hatte, das noch immer in einem kleinen Winkel seiner Seele kauerte, konnte er jedoch nicht brechen. Frédéric hatte dem kleinen Jungen versprochen, niemals Vater zu werden. Und Marcia, die schon alles besaß, was das Herz begehrte – Ruhm, Geld, Ansehen, feine Abendessen bei Castel –, wünschte sich nichts sehnlicher als ein Kind.
Seit jenem Abend hatten sie sich nicht wiedergesehen. Dennoch wusste er es. Auch ohne die Gerüchte, die Anspielungen von Freunden und die Fotos der Paparazzi hätte er es gewusst. Frédéric hatte seine Entscheidung niemals infrage gestellt und sie ebenfalls nicht. Das war alles. Letztendlich waren sie beide ihren Vorsätzen treu geblieben. Siebekam ihr Kind, das sie sich so sehnsüchtig gewünscht hatte, und er behielt seine Freiheit. Als Frédéric sie jetzt auf diesem Foto sah, war er sich nicht mehr ganz so sicher, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Sie war so schön wie immer auf Fotos. Doch
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