Und wenn wir fliehen (German Edition)
direkt zu den Wächtern gelaufen, genau wie wir angenommen hatten. Und Drew war bei ihnen.
Es gab so viel anderes, was ich unbedingt hätte sagen wollen, aber die Worte platzten einfach aus mir heraus: »Warum bist du bei diesen Leuten, Drew? Was zum Teufel machst du da?«
Ein paar Sekunden lang kam nur ein schwaches Zischen aus dem Lautsprecher. Dann erwiderte Drew: »Ich versuche eine Möglichkeit zu finden, wie ich helfen kann. Wie ich es von Anfang an vorhatte. Man muss sich mit denen einlassen, die die Macht haben, wenn man was erreichen will.«
Er hörte sich fast an wie Anika. Ein bitterer Geschmack stieg mir die Kehle herauf. Bevor ich irgendetwas antworten konnte, sprach er schon weiter.
»Was ist mit dir? Die Leute, die sie drüben in New Brunswick hinter euch hergeschickt haben – sie haben die Leichen gefunden, Kae.«
»Ich wollte nicht, dass das passiert«, antwortete ich leise.
»Na ja, jetzt haben sie es hier jedenfalls alle auf euch abgesehen. Sie sind echt wütend. Gott, bin ich froh, dass du lebst, aber ich weiß nicht, was …« Er brach mitten im Satz ab. »Du hast mir nicht gesagt, wo du bist. Kaelyn, du bist doch aus Toronto weg, oder?«
»Wir können den Impfstoff nicht dauernd durch die Gegend transportieren«, erwiderte ich. »Wir müssen jemanden finden, der weiß, wie man mehr davon macht.«
»Also seid ihr noch hier«, antworte er. »Kaelyn, die suchen nach euch, in dieser Minute . Du wirst sowieso keinen finden, der den Impfstoff reproduzieren kann und ihn dann nicht einfach uns gibt. Als Michael hier auftauchte, waren die Leute mit medizinischem Background die ersten, die er mit an Bord holte, und jetzt ist niemand mehr übrig. Ich bin schon fast zwei Monate hier. Ich wüsste es, wenn da noch jemand wäre.«
Ich schüttelte den Kopf. Am liebsten hätte ich seine Worte irgendwie ausgelöscht, aber ich konnte es nicht. »Und was schlägst du vor, wohin sollen wir gehen?«, fragte ich, als ich meine Stimme wiederfand.
»Ich weiß nicht«, erwiderte er. »Ihr könntet versuchen … Bis kurz bevor die Kommunikationsnetze zusammengebrochen sind, haben alle davon gesprochen, dass sie am CDC noch an dem Virus arbeiten würden und eine Therapie entwickeln wollten. Michael glaubt, dass sie immer noch dran sind. Bevor er von euch und dem Impfstoff hörte, wollte er zu ihnen runter. Ich glaube …« Seine Stimme wurde plötzlich leiser. »Carmen ist im Flur. Sorry. Ich versuch’s morgen noch mal.«
Die Übertragung brach ab und hinterließ nur noch ein monotones Rauschen. Ich fühlte mich genauso leer wie es klang.
Tobias stellte das Funkgerät aus und strich sich mit der Hand über die hellen Haare.
»Das CDC«, sagte er.
»Was ist das?«, fragte Justin.
Leo war derjenige, der antwortete. » Centers for Disease Control and Prevention – so was wie ’ne Seuchenschutzbehörde. Als ich noch in New York wohnte, waren die Forscher von da ziemlich oft in den Nachrichten. Es ist in Atlanta.«
Atlanta. Ich erschrak. So musste Gav sich gefühlt haben, als ich vorschlug, weiter bis nach Toronto zu gehen. Wie viele hundert Kilometer mehr noch?
»Die haben ja anscheinend nicht besonders viel hingekriegt«, sagte Justin.
»Sie haben es versucht«, erwiderte Leo. »Und sie haben top Sicherheitsvorkehrungen dort – müssen sie. Da gibt’s Proben von diesen ganzen tödlichen Krankheiten: Ebola, Anthrax, dieses ganze Zeug. Könnte also durchaus sein, dass sie das Zentrum nicht gestürmt haben, so wie die Krankenhäuser hier.«
»Können wir dem Typen denn überhaupt trauen?«, fragte Tobias mich. »Ich meine, ich weiß, er ist dein Bruder, aber glaubst du, er hat recht? Ist wirklich keiner mehr hier?«
Mein Blick glitt zu Leo, der mich mit ernstem Gesicht ansah. Vermutlich dachten wir beide an unser Gespräch darüber, wie die Menschen sich veränderten.
Leo hatte sich verändert. Drew hatte sich verändert. In mancher Hinsicht vielleicht auch zum Nachteil. Doch was immer Leo auch dachte, es bedeutete nicht, dass einer von ihnen jetzt ein schlechter Mensch war. Drew hatte sein Leben dafür riskiert, von der Insel wegzukommen, um ein Heilmittel für Mom und mich zu suchen. Am Funkgerät hatte er beide Male versucht, mich zu beschützen.
»Ja«, sagte ich. »Ich glaube ihm.«
Und ich wollte ihn nicht zurücklassen. Wenn wir abwarteten, wenn wir am nächsten Tag noch einmal mit ihm reden könnten, würde er vielleicht mit uns kommen?
Ich atmete tief durch. Ich hatte keine Ahnung, wie weit
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