Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und wenn wir fliehen (German Edition)

Und wenn wir fliehen (German Edition)

Titel: Und wenn wir fliehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Crewe
Vom Netzwerk:
Ordnung?«, fragte er mich.
    »Ich denke schon«, antwortete ich, und dann, bevor ich mich zurückhalten konnte: »Du fühlst dich doch gut, oder?«
    Der spontan verwirrte Gesichtsausdruck, mit dem er mich ansah, zerstreute all meine Befürchtungen. Dann verdunkelte Verständnis seine Miene. »Ja«, beruhigte er mich. »Mir geht’s gut. Keine Sorge.«
    Ein Schauer der Erregung durchfuhr mich, so schrecklich ich mich wegen Tobias auch fühlte. Die ganze Zeit über hatten wir es nicht gewusst. Ich hatte keine Ahnung gehabt, ob es all die Gefahren, denen wir ausgesetzt waren, weil wir den Impfstoff von der Insel fortgebracht hatten, überhaupt wert war. Aber jetzt hatte ich vielleicht den Beweis.
    »Geht’s schon los?«, fragte Gav, als ich wieder ins Schlafzimmer kam. Er saß aufrecht an die Wand gelehnt, doch sein Gesicht wirkte ausgelaugt, und selbst das Niesen, das er von sich gab, war nur schwach. Er weigerte sich immer noch zu essen. Ich konnte nicht erkennen, dass meine provisorische Bluttransfusion überhaupt irgendetwas bewirkt hätte. Die freudige Erregung, die ich kurz gespürt hatte, war mit einem Schlag wieder weg.
    »Der Wagen ist noch nicht hier«, antwortete ich.
    Er rieb sich abwesend das Knie. »Bist du dir wirklich sicher, dass wir weggehen sollen? Mir gefällt’s hier zwar nicht besonders, es stinkt und es ist kalt, aber immer noch besser als irgendwo durch die Gegend zu irren, oder? Es sei denn, wir gehen zurück auf die Insel.«
    »Darüber haben wir doch schon gesprochen«, erwiderte ich und setzte mich zu ihm. »Es ist zu unsicher, auf die Insel zurückzugehen. Außerdem müssen wir uns immer noch um den Impfstoff kümmern.«
    »Erst wollten wir ihn nach Ottawa bringen, und es hat nicht funktioniert, dann haben wir ihn hierhergebracht, und es hat wieder nicht geklappt«, sagte er. »Und mit Atlanta wird es genau dasselbe sein, stimmt’s? Und dann sind wir noch weiter von zu Hause weg.«
    Wir haben kein Zuhause mehr , wollte ich sagen.
    Die Welt, die einmal unser Zuhause war, gab es nicht mehr. Doch das hätte Gav in seinem virengeplagten Zustand sicher nicht verstanden.
    »Du hast recht«, antwortete ich. »Unsere anderen Pläne haben nicht funktioniert. Aber in Atlanta – und das glaube ich wirklich – sind wir vielleicht genau an der richtigen Adresse. Wir müssen es einfach versuchen.«
    Ich strich ihm mit den Fingern über die Wange. Seine Haut glühte.
    »Ich will aber nirgendwohin gehen«, erwiderte er. »Ich bin müde. Du hast mich schon bis hierher geschleppt, Kaelyn, meinst du nicht, es ist genug? Das ist doch alles Wahnsinn. Der Impfstoff wirkt wahrscheinlich gar nicht. Wir haben keine Ärzte, die uns helfen. Die sind alle abgehauen. Das sollten wir auch tun. Wir sollten wieder nach Hause gehen. Da waren wir doch glücklich. Ich jedenfalls.«
    Meine Augen wurden ganz heiß. »Ich auch«, sagte ich.
    Er wandte sich ab und hustete. Sein ganzer Körper bebte. Ich legte ihm die Handfläche auf den Rücken und wünschte, ich könnte ihm durch meine Berührung Kraft geben.
    Vor der Tür waren Schritte zu hören. »Ich hab was gehört!«, rief Tobias.
    Gav richtete sich auf und verlagerte sein komplettes Gewicht auf mich. Er kreuzte die Arme in meinem Nacken und zog mich an sich. »Wir lassen sie einfach gehen und bleiben hier«, flüsterte er. »Warum gerade du? Lass sie doch den Impfstoff nehmen. Dann sind wir beide ganz für uns, wie wir es von Anfang an vorhatten. Du hast mir doch versprochen … du hast gesagt …«
    Die Wohnungstür flog auf. »Sie ist da!«, rief Justin. »Verschwinden wir hier!«
    Gav rieb seine Nase zärtlich an meiner, und ein Schmerz breitete sich in meiner Brust aus.
    Ich hätte es tun können. Das war mir in diesem Augenblick klar. Ich hätte den Jungs sagen können, sie sollten die Kühlbox nehmen, während ich mit dem, was von Gav noch übrig war, bis zum Ende dablieb, so wie er es wollte.
    Für den Bruchteil einer Sekunde erlaubte ich dem Gedanken, durch meinem Kopf zu schießen, dann schob ich ihn beiseite.
    Was Gav über den Impfstoff gesagt hatte, stimmte nicht. Ich wusste mit ziemlicher Sicherheit, dass er wirkte. Und das, was ich an unserem ersten Tag in der Stadt zu Justin gesagt hatte, galt immer noch. Es war Dads Impfstoff. Es war meine Aufgabe. Es lag in meiner Verantwortung, die Sache durchzuziehen. Leo, Tobias und Justin verließen sich auf mich, darauf, dass ich sie anspornte weiterzumachen, genau wie Gav sich darauf verlassen hatte, dass ich

Weitere Kostenlose Bücher