Und wieder Carmel
erlebte.
„Was hat er?“, fragte Amy besorgt, als sie Alex in die Küche torkeln sah.
„Ich weiß es nicht“, antwortete ich und bekam es langsam mit der Angst zu tun.
Er kam mit einer weiteren Flasche Bier zurück, ging an mir vorbei, ohne mich zu
begrüßen und setzte sich auf die Couch.
„Es ist noch nicht mal Mitternacht. Wenn das neue Jahr anbricht, liegt er tot
in der Ecke.“
„Das befürchte ich auch.“ Ich zog meine Jacke aus, gab sie Amy und setzte mich
zu Alex.
„Anna!“, rief er lallend. „Meine geliebte Anna!“ Er beugte sich zu mir hinüber
um mich zu küssen, doch ich drehte mich weg.
„Was hast du?“, fragte er entsetzt.
„Ich denke, du hast genug“ erklärte ich leise.
„Von dir? Bedauerlicherweise nicht.“
„Nein, vom Bier“, sprach ich ruhig und versuchte seine Bemerkung zu ignorieren.
„Heut ist Silvester, da darf ich doch auch mal was trinken, oder?“
„Sicher, aber du möchtest das neue Jahr sicher noch aufrecht stehend erleben,
oder?“
„Nicht unbedingt. Ich kann das auch gut im Sitzen.“ Wieder beugte er sich vor
und ich wehrte sein Vorhaben ab. „Anna!“, lallte er und sah mich böse an.
„Ja?“
„Du stößt mich weg?“
„Nein, tue ich nicht.“
Er sah mich weiter böse an und versuchte gleichzeitig seine Bierflasche auf dem
kleinen Tisch vor ihm abzustellen. Er verfehlte den Tisch, die Flasche knallte
auf den Boden und zerbrach. Schäumend lief das Bier über den Fußboden. Alex
beeindruckten die Scherben nicht im Geringsten, dass ich aufgesprungen war,
schien ihn mehr zu beschäftigen. „Ein kleines Malheur und schon nimmst du reiß
aus.“
„Ich? Ganz sicher ...“, begann ich und schüttelte den Kopf.
„Lass es, ich wusste es“, unterbrach er mich, stand auf und verließ schwankend
den Raum über die Terrassentür. Fassungslos und enttäuscht stand ich neben den
Scherben und der Bierlache.
„Spinnt der?“, rief Amy und stellte sich beschützend neben mich.
„Keine Ahnung. Ich weiß nicht, was das soll. Als wenn er es drauf anlegt.“
Amy gab sich große Mühe, mich abzulenken, was ihr nicht wirklich gelang.
Ständig sah ich zur Uhr und zur Terrassentür. Alex kam aber nicht wieder
hinein.
„Wollen wir ihn suchen gehen, es ist doch gleich zwölf?“, fragte Amy, die meine
Gedanken zu lesen schien.
„Ja, danke Amy.“
Wir liefen auf die Terrasse und von dort aus hinunter zum Strand. Nirgends war
er zu sehen. Wir beschlossen, wieder zurück zum Haus zu gehen, um dort alle
Räume vom Wohnzimmer bis hin zu den Toiletten zu durchsuchen.
„Hast du in der Abstellkammer nachgesehen?“, fragte Amy und deutete auf eine
Tür neben der Küche.
„Was soll er denn in der Abstellkammer?“, scherzte ich und öffnete schwungvoll
die Tür. Das Licht des Flurs fiel in den Raum und ich erschrak. Zwischen
Staubsauger, Kärcher und Besen stand Alex, der sich
mit beiden Armen an der Wand abstützte, um ein blondes Mädchen, das ich nicht
kannte, in seinen Armen gefangen zu halten. Ihre Hände zeigten keinerlei
Abwehr, im Gegenteil sie knöpfte ihm offensichtlich gerade das Hemd auf.
Amy war zu mir geeilt, da ich wie angewurzelt in die Kammer starrte.
„Ach du Scheiße“, rief sie, zog mich zur Seite und knallte die Tür der Kammer
schwungvoll zu. „Komm, wir gehen erst mal in die Küche“, sagte sie unsicher und
schob mich vor sich her. Ich war wie gelähmt, ich fühlte nichts mehr. Alles um
mich herum verschmolz zu einer Nebelwand und die Geräusche vereinten sich zu
einem dumpfen Dröhnen. Amy gab mir ein kleines Glas mit einer durchsichtigen
Flüssigkeit und ich trank es ohne zu zögern aus. Ich schmeckte nichts. Dann sah
ich Alex in der Tür stehen und mich traurig ansehen. Ich bewegte mich nicht,
verzog keine Miene. Amy warf Alex einen missachtenden Blick zu und schob mich
ins Wohnzimmer. Er folgte uns, blieb aber wieder in der Tür stehen und starrte
mich an. Um mich herum begannen alle lauthals zu zählen. Von zehn rückwärts
brüllten sie gemeinsam und starrten auf die Anzeige im Fernsehen nur Alex und
ich sahen einander wie paralysiert an.
„Happy New Year “, schrien alle im Chor und umarmten
sich jubelnd. Amy drückt sich an mich, dann Scott und Peter. Sie merkten nicht,
dass ich mich überhaupt nicht regte. Amy zerrte mich am Arm nach draußen, um
auf der Terrasse das Feuerwerk zu beobachten. Gemeinsam starrten wir in den
Himmel und bewunderten die sich ständig ändernden Farben und grellen Lichter,
die mich überhaupt nicht beeindruckten.
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