Undank Ist Der Väter Lohn.
doch nicht wahr. Und wir wissen es beide.«
»Doch wirklich, Liebster. Du hast geschlafen. Du mußt eingenickt sein. Ich hab nur schnell einen Blick ins Zimmer geworfen und bin dann gleich wieder hinunter an die Arbeit. Es wundert mich nicht, daß du mich nicht gehört hast.«
Er stand da, die Scheinwerfer in den Händen. Sie wünschte inständig, sie könnte zu ihm gehen und ihn mit einer schützenden Aura umhüllen, um die Dämonen zu bannen und die Verzweiflung zu vertreiben. Aber sie stand nur schweigend da, wenige Schritte über ihm am Hang, in den Händen eine Flasche Pellegrino, von der sie beide wußten, daß er sie nicht wollte und niemals trinken würde.
»Sie war das Warum und Wozu«, sagte er leise. »Jeder Weg im Leben nimmt einmal ein Ende. Aber wenn man Glück hat, steckt in ihm ein neuer Anfang. Nick war das Warum und Wozu. Verstehst du mich, Nancy?«
Ihre Blicke trafen sich einen Moment. Seine Augen – diese Augen, in denen sie siebenunddreißig Jahre lang Liebe und Enttäuschung, Lachen und Weinen, Freude und Angst zu erkennen gelernt hatte – übermittelten ihr eine Botschaft, die in ihrer Existenz unübersehbar war, aber unbegreiflich in ihrer Bedeutung. Ein eisiger Schauder der Furcht überlief Nan, eine schreckliche Überzeugung, daß sie es sich von diesem Augenblick an nie mehr würde erlauben können, irgend etwas zu verstehen, was der Mann, den sie liebte, ihr sagen wollte.
»Ich muß rauf, es gibt zu tun«, sagte sie und eilte den Hang unter den Linden hinauf. Sie empfand die kühle Luft in den Schatten wie milden Regen, der vom Laub der Bäume herabrieselte. Zuerst berührte sie ihre Wangen, glitt dann zu ihren Schultern hinunter, und es war das Spiel der Kühle auf ihrer Haut, das sie veranlaßte, sich mit einer letzen Frage nach ihrem Mann umzudrehen.
»Andy«, sagte sie mit einer ganz normalen Lautstärke. »Kannst du mich von hier aus hören?«
Er antwortete nicht. Er sah nicht auf. Er reagierte überhaupt nicht, sondern fuhr fort, die Scheinwerfer rund um den Pfosten aufzustellen, an dem das neue Schild hängen sollte.
»O Gott«, flüsterte Nan. Sie wandte sich ab und lief weiter den Hang hinauf.
Nach dem Gespräch am vergangenen Abend hatte Samantha nur noch das Bedürfnis gehabt, ihrem Onkel Jeremy aus dem Weg zu gehen. Begegnungen beim Frühstück und beim Mittagessen hatten sich natürlich nicht vermeiden lassen, aber sie war jedem Blickkontakt ausgewichen und hatte sich jeder Unterhaltung mit ihm entzogen. Sie hatte ihr Geschirr abgeräumt, sobald sie fertig gegessen hatte, und danach das Zimmer nicht wieder betreten.
Sie war gerade draußen im Hof, um die noch heilen Fenster zu putzen, die aussahen, als hätten sich fünfzig Jahre Schmutz und Staub auf ihnen abgelagert, als sie ihren Vetter bemerkte. Er saß am Schreibtisch in seinem Büro gleich drüben auf der anderen Seite des kopfsteingepflasterten Hofs. Sie ließ den Gartenschlauch fallen, den sie gerade hatte ausrollen wollen, und blieb stehen, um Julian zu beobachten. Die Herbstsonne fiel durch das offene Fensters des Büros auf sein Haar und verlieh ihm einen weichen rötlichen Schimmer. Sie sah, wie er sich die Sorgenfalten auf der Stirn rieb, und diese Geste verriet ihr augenblicklich, was er gerade tat.
Er saß über den Büchern, wie er es jede Woche einmal tat, um festzustellen, was an Einkommen, Guthaben und Investitionen vorhanden war. Sie wußte, er würde alles ganz genau prüfen: was durch den Verkauf der Welpen hereinkam und was die Zucht an Betriebskosten verschlang; was an Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu verzeichnen war und welcher Anteil davon für die Instandhaltung und Reparatur von Gebäuden ausgegeben werden mußte, wie hoch die Einnahmen aus den Turnierveranstaltungen und Festen waren, die in Broughton Manor ausgerichtet wurden, und welche Kosten durch Abnutzung und Verschleiß entstanden; auf welche Höhe sich die Zinsen beliefen, die das investierte Kapital brachte, und inwieweit dieses Kapital angegriffen werden mußte, wenn die monatlichen Ausgaben die Einnahmen überstiegen.
Wenn er damit fertig war, würde er die Bücher durchsehen, in die er gewissenhaft jedes Pfund eintrug, das für die Renovierung von Brougthon Manor aufgewendet wurde, und dann würde er sich zur Auffrischung seines Gedächtnisses die Schulden ansehen, die ebenfalls Teil des finanziellen Gesamtbilds waren.
Nachdem er das alles erledigt hatte, würde er eine ziemlich klare Vorstellung davon haben,
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