Undank Ist Der Väter Lohn.
ausgesehen. Aber zum ersten Mal seit Inspector Lynley sie mit dem Befehl an den Computer zurückbeordert hatte, Andrew Maidens alte Fälle zu durchforsten und zu prüfen, ob es da eine Verbindung zur Ermordung seiner Tochter gab; zum ersten Mal seit sie alle Ermittlungen in dieser Richtung als sinnlose Zeitverschwendung verworfen hatte, mußte sie sich fragen, ob sie nicht doch statt einem Fuchs einer Schimäre hinterherjagte. Sie hätte es nicht sagen können.
Sie kramte ihre Autoschlüssel aus ihrer Handtasche und erklärte Matthew King-Ryder, sie würde sich melden, falls sie weitere Fragen hätte. Und wenn ihm noch irgend etwas bezüglich seines Gesprächs mit Terry Cole einfallen sollte ... Sie gab ihm ihre Karte mit ihrer Telefonnummer. Ob er sie dann anrufen würde? Es sei ja häufig so, daß man sich plötzlich an vermeintlich unwichtige Details erinnerte, wenn man es am wenigsten erwartete.
Selbstverständlich werde er sich sofort melden, versprach Matthew King-Ryder, und für den Fall, sagte er, daß Terry Cole sich ohne seine – King-Ryders – Hilfe über die Anwälte der Familie Chandler kundig gemacht habe, wolle er der Polizei den Namen der Kanzlei und ihre Telefonnummer geben. Er blätterte in seinem Terminkalender zurück bis zu einem Adressenverzeichnis, suchte den entsprechenden Eintrag heraus und gab Barbara die versprochenen Informationen. Sie schrieb sich alles auf, dankte King-Ryder für sein Entgegenkommen und wünschte ihm Glück in seinem neuen Zuhause. Er brachte sie zur Tür und sperrte nach Art des vorsichtigen Londoners hinter ihr ab.
Allein im Korridor vor seiner Wohnung, ließ Barbara sich das Gehörte noch einmal durch den Kopf gehen und überlegte, wie – und ob – diese neuen Erkenntnisse ins Bild paßten. Sie erinnerte sich, daß Terry Cole seiner Mutter und Schwester zufolge von einem großen Auftrag gesprochen hatte. Konnte er damit auf seine Hoffnung auf einen Zuschuß aus der King-Ryder-Stiftung angesprochen haben? Sie hatte voreilig angenommen, sein Besuch bei King-Ryder hätte mit der Originalkomposition Michael Chandlers zu tun gehabt, die in seinem Besitz gewesen war. Aber wenn er darüber aufgeklärt worden war, daß die Noten für ihn völlig ohne Wert waren, weshalb hätte er sich dann noch die Mühe machen sollen, die Anwälte ausfindig zu machen und die Handschrift der Familie Chandler zu übergeben? Er hätte natürlich auf eine Belohnung von den Chandlers hoffen können. Aber selbst wenn er eine erhalten hätte, wäre sie auch nur annähernd so hoch gewesen wie ein Zuschuß der King-Ryder-Stiftung, der ihm erlaubt hätte, seine zweifelhafte Künstlerkarriere weiterzuverfolgen? Wohl kaum, dachte Barbara. Es wäre sehr viel aussichtsreicher zu versuchen, einen etablierten Geldgeber mit seinem Talent zu beeindrucken, als auf die Dankbarkeit und Großzügigkeit völlig Unbekannter zu hoffen.
Ja. Das war logisch. Und es war anzunehmen, daß Terry Cole jeden Gedanken daran, mit Chandlers handschriftlichen Noten Geld zu machen, wieder verworfen hatte, als ihm klargeworden war, wie notwendig die Gutmütigkeit und Generosität von Fremden zur Erreichung seiner ehrgeizigen Ziele waren. Nach dem Gespräch mit Sitwell hatte er die Noten wahrscheinlich weggeworfen oder irgendwo zu Hause verkramt. Dann drängte sich allerdings die Frage auf, warum sie und Nkata bei der Durchsuchung der Wohnung nicht auf die Handschriften gestoßen waren. Aber wäre ihnen ein Notenblatt irgendwo unter Terry Coles Sachen aufgefallen? Zumal die ganze Zeit ihre Sinne mit der Kunst der beiden kreativen Wohnungsmieter bombardiert worden waren.
Kunst. Es gibt einen Knotenpunkt, an dem fast alle Fäden dieses Falls zusammenlaufen, dachte Barbara. Die Kunst. Künstler. Die King-Ryder-Stiftung. Matthew King-Ryder hatte gesagt, Zuschüsse würden nur denjenigen Künstlern gewährt, die irgendwie mit dem Theater zu tun hatten. Aber was sollte einen Künstler daran hindern, so zu tun, als gälte sein Hauptinteresse dem Theater, wenn er damit an einen Batzen Geld kommen konnte? Wenn Terry Cole auf einen solchen Einfall gekommen war, wenn er sich tatsächlich als Bühnen- oder Kostümbildner ausgegeben hatte, wenn der Riesenauftrag, von dem er gesprochen hatte, in Wirklichkeit ein Riesenbetrug an einer Stiftung gewesen war, die das Andenken an einen Giganten des Theaters am Leben erhalten sollte ...
Nein. So ging das nicht. Sie warf zu viele Möglichkeit in einen Topf. Damit würde sie sich höchstens
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