Undank Ist Der Väter Lohn.
verrückt machen und jeden klaren Blick verlieren. Sie mußte nachdenken, sie mußte raus an die frische Luft, sie brauchte jetzt einen flotten Marsch durch den Regent’s Park, um zu ordnen und zu sortieren, was sich da in ihrem Kopf angesammelt hatte.
Ihre wild kreisenden Gedanken kamen abrupt zum Stillstand, als ihr Blick auf das Gerümpel vor King-Ryders Wohnungstür fiel. Bei ihrer Ankunft hatte sie ihm weiter keine Beachtung geschenkt, jetzt aber tat sie es. Sie hatten über Künstler gesprochen, und er hatte bemerkte, er verstünde nicht viel von moderner Kunst. Und eben wegen dieses Gesprächs fiel ihr das, was sie vor King-Ryders Tür sah, besonders auf.
Unter dem Plunder, den King-Ryder zur Abholung bereitgestellt hatte, befand sich ein Gemälde. Es lehnte mit der Vorderseite zur Wand hinter aufeinandergeschichteten Müllsäcken.
Barbara spähte nach rechts und nach links. Sie wollte sehen, was in Matthew King-Ryders Augen Kunst war – ob ausrangiert oder nicht. Sie schob die Müllsäcke auf die Seite und zog das Bild von der Wand weg.
»Da darf doch wohl nicht wahr sein!« flüsterte sie, als sie sah, was sie da aufgestöbert hatte: Das Bild zeigte eine groteske Blondine mit weitaufgerissenem Mund und herausgestreckter Zunge, auf der eine Katze ihr Geschäft verrichtete.
Barbara hatte bereits ein Dutzend oder mehr Variationen zu diesem fragwürdigen Thema gesehen. Sie kannte die Malerin und hatte mit ihr gesprochen: Cilla Thompson, die so stolz verkündet hatte, sie habe erst letzte Woche eines ihrer Werke an einen »Mann mit Geschmack« verkauft.
Barbara musterte die geschlossene Tür zu Matthew King- Ryders Wohnung. Sie empfand Grauen und Triumph zugleich. Da drinnen, sagte sie sich, hauste ein Mörder. Und sie, schwor sie sich, würde ihn zur Strecke bringen.
Lynley fand Barbara Havers’ Bericht auf seinem Schreibtisch, als er an diesem Morgen um zehn ins Yard kam. Er las die Zusammenfassung der Fälle, die sie am Computer überprüft hatte, und die Schlußfolgerung, zu denen sie gelangt war, und er vermerkte den Unterton grollenden Vorwurfs, der in den von ihr gewählten Formulierungen mitschwang. Im Augenblick stand ihm jedoch nicht der Sinn danach, sich mit ihrer kaum verhüllten Kritik an den Anweisungen, die er ihr gegeben hatte, zu befassen. Der Beginn des Morgens war schon aufreibend genug gewesen, und er hatte andere, dringendere Angelegenheiten im Kopf als die Unzufriedenheit einer Mitarbeiterin mit ihrem Arbeitsauftrag.
Er hatte auf seinem Weg von Eaton Terrace zur Victoria Street einen Abstecher nach Fulham gemacht, um sich im Chelsea and Westminster Hospital nach Vi Nevins Befinden zu erkundigen. Die Ärzte der jungen Frau hatten ihm eine Viertelstunde Besuchszeit gestattet. Aber unter dem Einfluß der Beruhigungsmittel, die man ihr gegeben hatte, hatte sie die ganze Zeit nur geschlafen. Auch als irgendwann ein Facharzt für plastische Chirurgie gekommen war und ihr die Verbände abgenommen hatte, um sie zu untersuchen, war sie nicht erwacht.
Noch während des Besuchs des Chirurgen war Shelly Platt im Krankenhaus eingetroffen, in einen Hosenanzug aus Leinen gekleidet, das orangerote Haar unter einem breitkrempigen Strohhut versteckt, die Augen hinter den dunklen Gläsern einer großen Sonnenbrille verborgen. Unter dem Vorwand, der Freundin ihr Beleid zum Tod Nicola Maidens aussprechen zu wollen, hatte sie nach Lynleys Besuch in Earls’s Court wiederholt versucht, Vi Nevin anzurufen. Als es ihr nicht gelungen war, sie zu erreichen, war sie schließlich an die Rostrevor Road gefahren, wo der Überfall auf ihre Freundin Tagesgespräch war.
»Aber ich muß sie sehen!« hörte Lynley draußen auf dem Gang jemanden rufen, während drinnen der Chirurg Vi Nevins zertrümmertes Gesicht begutachtete und sich so sachlich und emotionslos, als hätte er ein Forschungsobjekt vor sich und nicht einen lebenden Menschen, über zersplitterte Knochen, Hautverpflanzungen und Narbenbildung ausließ. Lynley, der zwar nicht die Stimme im Korridor erkannte, aber doch den typischen Dialekt, entschuldigte sich und ging hinaus, wo er Shelly Platt im Kampf mit einer Schwester und dem Polizeibeamten, der das Zimmer bewachte, vorfand.
»Er war’s, stimmt’s?« rief sie sofort, als sie ihn sah. »Ich hab ihm geflüstert, was läuft, und er hat sie gefunden, richtig? Jawohl, genauso war’s. Und er hat’s ihr gegeben, genau wie ich’s befürchtet hab. Wahrscheinlich ist er jetzt schon hinter mir her, wenn
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