Undead 01 - Weiblich, ledig, untot
Talfahrt machte. Verträumt blickte er über meine Schulter hinweg.
Ich schaute ebenfalls und wäre fast von der Bank gefallen.
Der Psychopath vom Friedhof stand in der Tür und fixierte mich. Du liebe Güte! Zufrieden stellte ich fest, dass sein 123
Haar nicht mehr so perfekt lag. Seinen Rücken konnte ich nicht sehen, aber er roch nach verbrannter Baumwolle.
Gut!
»Mein Gott!«, schwärmte Marc. »Wer ist das?«
»Ein Arschloch«, grummelte ich, drehte mich wieder zu ihm um und griff nach meinem Tee. Ich war so durcheinan-der, dass ich ein wenig heiße Flüssigkeit auf meine Hand verschüttete. Aber es tat gar nicht weh.
»Er kommt zu uns rüber«, quietschte Marc. »O mein Gott, o mein Gott, ohmeingott!«
»Krieg dich wieder ein!«, zischte ich. »Du benimmst dich ja wie ein verknalltes Schulmädchen. Ach sooo!« Die Erkenntnis traf mich wie immer ein wenig spät. »Du bist schwul!«, rief ich laut. Das ganze Café drehte sich nach uns um. Oder vielleicht starrten sie auch Danger-Boy an, der sich jetzt schnell näherte.
»Klar.«
»Gar nichts ist klar. Wie sollte ich das wissen? Ich nahm an, du wärst hetero.«
»Weil du hetero bist.« Er schaute immer noch gebannt über meine Schulter hinweg und fuhr sich eilig durch die kurzen Haare, die in dieser Länge ohnehin nie aus der Form geraten wären. »Ich denke immer, alle anderen wären schwul.«
»Statistisch gesehen ist das ziemlich dumm.«
»Ich muss mir keine Ratschläge von einer untoten He-terosexuellen anhören. Hallo-hooo«, gurrte er dann. Plötzlich fühlte ich ein Gewicht auf meiner Schulter: Arschlochs Hand. Ich schüttelte sie ab und widerstand der Versuchung, wie ein tollwütiger Kojote hineinzubeißen.
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»Guten Abend«, sagte das Arschloch, zu allem Überfluss mit einem unwiderstehlichen Bariton.
»Verpiss dich«, sagte ich herzlich.
Er glitt neben Marc auf die Bank. Ich hörte ein unterdrücktes Keuchen und fürchtete schon, Marc wäre in Ohnmacht gefallen. »So sieht man sich wieder.«
»Großartig.«
»Ich glaube nicht, dass wir einander schon offiziell vorgestellt wurden.«
»Das hatte ich gerade vor, als du deinen Finger in meinen Mund gesteckt hast.«
Ich überlegte, ob ich ihm meinen Tee ins Gesicht schütten sollte, aber der Mistkerl würde wahrscheinlich Marc als lebendigen Schutzschild benutzen.
»Ach so. Nun gut. Mein Name ist Sinclair. Und du bist . . . ?«
»Wirklich sauer auf dich.«
»Ist das ein Familienname?«
Marc brach in Gelächter aus. Sinclair belohnte ihn mit einem warmen Lächeln. »Ist das ein Freund von dir?«
»Das geht dich gar nichts an.«
»Ich wollte mich umbringen, und sie hat mich überredet, es nicht zu tun«, ließ Marc meinen neuen Erzfeind wissen.
»Jetzt überlegen wir gerade, wie wir misshandelnden Eltern das Handwerk legen können.«
»Tun wir nicht!«
»Tun wir wohl!«
Sinclairs Nasenlöcher blähten sich. Er lehnte sich vor und begutachtete Marcs Hals genauer (es hatte sich schnell ein 125
blauer Fleck gebildet, aber es waren keine Bissspuren zu sehen), dann sah er wieder mich an. »Du hast von diesem Mann getrunken?«
Ich errötete. Oder fühlte mich zumindest so, vielleicht konnte ich das gar nicht mehr? »Noch einmal: Das geht dich nichts an.«
Er trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte. Ich versuchte, sie nicht anzustarren. Sie waren so lang und schlank, und ich hatte eine ungefähre Vorstellung davon, wie kräftig sie waren. »Interessant. Und jetzt sitzt ihr hier zusammen. Hmmm.«
»Willst du uns Gesellschaft leisten?«, ließ Marc sich ver-nehmen. Ich stöhnte, aber beide ignorierten mich. »Auf einen Kaffee oder so?«
»Ich trinke nicht. Keinen Kaffee.«
»Oh, sehr witzig«, sagte ich schnippisch. »Was tust du hier, Sink Leer? Wenn du mir den Mantel in Rechnung stellen willst, vergiss es. Das bist du selber schuld.«
»In der Tat.« Er maß mich mit kühlem Blick. Schwarze Augen bohrten sich in meine, und das war genauso angenehm, wie es sich anhört. »Diese Angelegenheit werden wir in Kürze klären. Jetzt aber, um auf deine Frage zu antworten, kann meine Anwesenheit dir von Nutzen sein, meine Liebe.«
»Nenn mich nicht so.«
»Mich darfst du so nennen«, zwitscherte Marc hilfreich.
»Nostro will dich tot sehen, als Strafe für das, was du heute Nacht getan hast. Der Vampir, der ihm deinen Kopf bringt, wird reich belohnt.«
»Wer zum Teufel ist Noseo?«
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»Nostro. Er ist der . . . ich glaube, du würdest ihn einen Stammesführer nennen.
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