Undead 02 - Suss wie Blut und teuflisch gut
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der starke medizinische Minzgeschmack mich zum Würgen brachte.
Ich wollte gerade aus dem Haus gehen – nachdem ich über die Kartons im Wohnzimmer gestolpert war –, da hörte ich ein zaghaftes Klopfen. Als ich die Tür öffnete, stand Tina auf der Schwelle.
»Vielen herzlichen Dank, dass du mir Sinclair auf den Hals gehetzt hast«, sagte ich zur Begrüßung. »Er hat mich an meinem Arbeitsplatz besucht!«
»Ach ja?«, sagte sie unschuldig. Sie war gemeingefährlich angezogen: roter Minifaltenrock, kurzärmeliger weißer Pullover, schwarze Strümpfe und schwarze flache Schuhe mit silbernen Spangen. Ihr hellblondes Haar wurde von einem roten Haarband aus dem Gesicht gehalten. Sie sah aus wie sechzehn. »Wenn ich es mir recht überlege«, sie schürzte nachdenklich die Lippen, »hat er erwähnt, dass er vielleicht in die Mall gehen wollte, um Euch zu sehen.«
»Netter Versuch, aber das nehme ich dir nicht ab. Er geht doch noch nicht einmal kacken, ohne es vorher mit dir zu besprechen.«
»Eigentlich ist es Jahrzehnte her, dass er oder ich auf die Toilette . . . «
»Du siehst übrigens sehr süß aus.« Sie hatte es faustdick hinter den Ohren, verfügte aber über einen sehr guten Kleidergeschmack.
Sie lächelte und zuckte dann mit den Achseln. »Ich gehe später noch aus.«
»Erzähl es mir nicht.« Tina stand ein Trio von treu erge-benen Blutspendern zur Verfügung, aber manchmal hatte 62
sie Lust auf etwas, was nicht auf der Karte stand. »Ich will es wirklich nicht wissen.«
»Das mache ich auch nicht. Und außerdem ist hier Euer Memo.« Sie gab mir einen dick gepolsterten Umschlag.
»Fühlt sich an wie ein Haufen Papier«, sagte ich misstrauisch und wog den steifen Umschlag in der Hand.
»Ich habe, so gut ich konnte, alles zusammengefasst. Es liegen auch einige Fotos bei.«
»Nun gut, ich werde es lesen, sobald ich . . . «
»Tina?«
»Uaaaah!« Ich ließ den Umschlag fallen, der mit einem saftigen Klatschen auf dem Boden aufschlug. Der Kopf einer zweiten Person war im Türrahmen aufgetaucht – ein sehr niedlicher Kopf –, aber ich hatte keinen Laut gehört.
Eigentlich war es sehr schwer, sich an mich anzuschleichen.
Einem Lebenden würde es kaum gelingen, erfahrenen und damit alten Vampiren aber schon.
»Es tut mir leid«, sagte die niedliche Person. Ihre Augen waren riesig. »Ich bitte um Verzeihung, Majestät. Ich wollte Euch nicht erschrecken.«
»Nenn mich nicht so. Und du hast mich nicht erschreckt, du hast mich zu Tode erschreckt. Wie alt bist du?«
Unter normalen Umständen wäre das keine sehr nette Frage gewesen, aber Vampire gaben liebend gerne damit an, wie altersschwach sie waren.
Dieser Vampir hier bildete da keine Ausnahme. Sie richtete sich stolz auf, und eine gute Haltung brachte ihre Vorzüge erst richtig zur Geltung. Sie war groß – fast so groß wie ich und einen guten Kopf größer als Tina – mit schulterlangem Haar, so blond, dass es fast silbern war, und 63
Augen so blau wie der Himmel an Ostersonntag. Selbstverständlich war sie blass, aber das stand ihr gut. Der helle Teint passte zu ihren Farben. Sie trug Kakishorts, ein pinkfarbenes T-Shirt, das bis unter das Kinn zugeknöpft war, und lederne Sandalen. Vorsichtig lächelte sie.
»Ich bin achtundsiebzig, Majestät.«
»Na, schau an! Und du siehst nicht einen Tag älter als zweiundzwanzig aus. Und nenn mich nicht Majestät. Wer bist du?«
»Monique Silver«, sagte Tina schnell. »Sie wollte Nostro ihre Aufwartung machen und fand dann heraus, dass es jetzt eine neue Regierung gibt. Außer ihr ist ein weiterer Vampir neu in der Stadt, aber . . . «, Tina blickte vorsichtig über ihre Schulter zurück, ». . . sie ist nicht mit uns gekommen, sondern geht zurück zum Hotel.«
»Sie ist schüchtern«, ergänzte Monique.
Tina schnaubte, ging aber nicht weiter auf das Thema ein. »Monique wohnt mit uns im Marquette.«
Ich lächelte. Aber was ich hörte, gefiel mir nicht. Wenn Tina mit Sinclair zusammenwohnte, machte mir das nichts aus. Sie waren wie Bruder und Schwester, und außerdem interessierte sich Tina nicht für ihn. Aber die Vorstellung, dass dieser Penthouse-Starschnitt das Badezimmer mit Eric teilte, behagte mir nicht. Überhaupt nicht.
»Schön, dich kennenzulernen. Ich hoffe, du hast den alten Nostro nicht gemocht.« Ich war besorgt. Was, wenn es doch so wäre?
Aber ihr warmes Lächeln beruhigte mich. »Nein, ganz und gar nicht. Ich bin Euch tatsächlich sehr dankbar. Wir alle sind es . .
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