Undercover
entdeckte. Sie wäre gestorben. Manche sagen, was ihr dort passierte, sei schlimmer gewesen als der Tod.
Er wartet weiter. Das Haus ist dunkel, kein Laut dringt nach draußen. Eine Stunde vergeht. Als Win gerade etwas unternehmen will, hört er, wie sich die Hintertür schließt, dann Schritte. Win duckt sich hinter eine hohe Hecke, sieht einen dunklen Umriss, der sich als Lamont entpuppt. Sie geht allein zu ihrem Wagen, hält etwas in den Händen. Lamont öffnet die Beifahrertür, die Innenbeleuchtung geht an. Sie wirft etwas auf den Sitz, das nach nachlässig gefalteten Bettlaken aussieht. Win sieht zu, wie sie davonfährt. Kein Anhaltspunkt, mit wem sie im Haus war. Bizarre Gedanken rasen ihm durch den Kopf. Sie ist in etwas Illegales verwickelt. Drogen. Organisiertes Verbrechen. Ihre jüngsten Shoppingtouren - vielleicht lässt sie sich bestechen. Seine neue Aufgabe - vielleicht steckt mehr dahinter als einfach nur ein politischer Schachzug von ihr. Möglicherweise gibt es einen Grund, warum sie Win nicht in ihrem Büro, in ihrer Nähe haben will.
Er bleibt noch etwas länger in seinem Versteck, dann beginnt er, den Umkreis des Hauses zu erforschen, hell scheint die Taschenlampe auf eine beschädigte Wandverkleidung, anscheinend wurden Abflussrohre mit Gewalt entfernt. Er mustert die Traufe des Daches - alle Regenrinnen fehlen. Grün angelaufenes Kupfer leuchtet auf, es sieht so aus, als seien die fehlenden Rohre und Rinnen ebenfalls aus altem oxidiertem Kupfer gewesen. Durch ein Fenster neben der Hintertür sieht Win die Alarmanlage. Grünes Licht, nicht eingeschaltet. Mit Hilfe der Taschenlampe klopft er eine Glasscheibe heraus, greift vorsichtig mit der Hand hinein, um sich nicht zu schneiden, öffnet die Tür. Er studiert die Alarmanlage. Veraltet, ausgeschaltet, das grüne Licht zeigt nur, dass sie am Netz ist. Das Haus riecht muffig, die Küche ist ein Trümmerfeld, Geräte herausgerissen, angelaufene Wasserleitungen aus Kupfer liegen auf dem Boden.
Er geht in Richtung des Zimmers, in dem sich Lamont zuvor aufgehalten haben muss. Der Lichtstrahl gleitet über den verstaubten Hartholzboden. Überall Fußabdrücke, einige deutlich sichtbar, vielleicht lief jemand durch nasses Gras, ehe er das Haus betrat. Win kauert sich hin, nimmt einige Abdrücke genauer unter die Lupe, die kein Muster haben, sondern die vertraute Tränenform hochhackiger Schuhe. Lamont. Dann andere. Größer, runde Kappe, ein Karomuster mit den unverwechselbaren Streifen im Absatz. Prada oder Prada-Imitat. Einen verwirrten Moment lang fragt sich Win, ob er sie selbst hinterlassen hat. Nein, nicht möglich. Zum einen trägt er noch immer seine Motorradstiefel. Dann fällt ihm mit Schrecken ein, dass er seine Prada-Schuhe vergessen hat, und zwar in der Sporttasche, die jetzt, wie Nana sagt, gestohlen wurde.
Es gibt noch andere Schuhabdrücke, ähnlich groß, aber mit anderem Muster, vielleicht Laufschuhe, Wanderschuhe, vielleicht von mehreren Personen. Oder es waren zwei Personen mehrfach hier und trugen dabei nicht dieselben Schuhe. Mit Hilfe seiner Taschenlampe beleuchtet Win die Abdrücke von der Seite und macht mit seinem iPhone Fotos aus drei verschiedenen Winkeln, legt eine Neun-Millimeter-Patrone aus seiner Pistole als Maßstab daneben. Er schätzt Schuhgröße zehn, vielleicht zehneinhalb, ungefähr seine Größe. Er schaut sich noch etwas länger um, richtet das Licht auf kunstvolle Lampen, Stuckleisten, Randleisten und Anschlüsse, die wahrscheinlich noch original sind. Er findet den Raum, den er gesucht hat; früher war es offenbar der Salon.
Überall sind Fußabdrücke, manche sehen genauso aus wie die in anderen Teilen des Hauses, und in der Mitte liegt eine nackte Matratze auf dem Boden. Daneben steht eine dicke Kerze; das Wachs um den Docht ist warm und geschmolzen, dazu eine ungeöffnete Flasche Rotwein, ein Wolf Hill Pinot Noir von 2002, eine Flasche vom selben Pinot, sogar vom selben Winzer, wie Stump sie ihm schenkte, als er bei Pittinelli mit ihr sprach. Eine Flasche, die er zusammen mit seinen Prada-Schuhen in seiner Sporttasche vergaß.
Win macht noch mehr Fotos, kehrt in die Küche zurück und entdeckt etwas auf der Arbeitsfläche, das ihm sonderbar erscheint: zerrissene Pappe und Plastik von der Verpackung einer Einwegkamera - einer Solo HzO mit Blitz. Vielleicht von einem Versicherungsgutachter, der Bilder vom Schaden am Haus angefertigt hat. Allerdings ziemlich unprofessionell, eine Einwegkamera zu benutzen.
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