Undercover
kribbeln beginnt.
Pflichtbewusst kehrt er zurück zu dem ungelösten Mord in Massachusetts aus dem Jahr 1962. Bizarr. Der Polizeichef kann nicht ganz dicht sein, sich auf so einen Fall einzulassen. Ein ungelöster, fünfundvierzig Jahre alter Mord, der nicht einmal in Großbritannien stattfand? Winston »Win« Garano, auch »Geronimo« genannt. Zweifellos wegen seiner buntkarierten Herkunft. Gutaussehender Kerl, das will Killien ihm zugestehen. Cappuccinobraune Haut, welliges schwarzes Haar, die gerade Nase eines römischen Kaisers. Vierunddreißig Jahre alt, ledig, verlor im Alter von sieben Jahren beide Elternteile. Defekter Heizofen, Kohlenmonoxidvergiftung. Selbst sein Hund starb dabei, Pencil. Seltsamer Name für einen Hund.
Mal sehen. Wurde von seiner Großmutter großgezogen, Nana … Oh, das ist gut: Sie bezeichnet sich selbst als »weise Frau«. Eine Hexe. Kleinere Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung: Falschparken, Überfahren roter Ampeln, verbotenes Wenden, Rasen, eingezogener Führerschein, der erst nach Zahlung einer Geldstrafe herausgegeben wurde. O Gott, es geht noch weiter: Wurde vor drei Jahren verhaftet, Anklage wurde fallengelassen. Offenbar warf sie 999 neugeprägte Pennys auf das Grundstück von Mitt Romney, Gouverneur von Massachusetts. Und noch was Besseres: Schrieb den Namen von Vizepräsident Dick Cheney auf ein Stück Pergament, steckte es in eine Tüte für Hundekot und begrub sie auf dem Friedhof. Wurde jedes Mal dabei erwischt, belegte beide Männer mit einem Fluch. Nun, das ist nicht strafbar. Eigentlich hätte sie eine Belohnung bekommen müssen.
Es sieht so aus, als sei Win Garano von seinem üblichen Einsatzbereich abgezogen und dem Watertown-Fall zugewiesen worden. Wirkt wie eine Bestrafung. Als hätte er seine Chefin irgendwie verprellt. Monique Lamont, Staatsanwältin von Middlesex County. Trotz großer öffentlicher Unterstützung zog sie sich 2006 aus der Gouverneurswahl zurück, lief zu den Republikanern über und ließ sich zur Wiederwahl für ihre jetzige Position aufstellen. Gewann mit großem Vorsprung. Ledig, momentan keine feste Beziehung. Lange betrachtet Killien ein Foto von ihr. Dunkles Haar, dunkle Augen, sieht super aus. Prominente Familie mit französischen Wurzeln. Sein Telefon klingelt.
»Hatten Sie schon Gelegenheit, sich die Situation in Massachusetts anzusehen?«, fragt der Polizeichef ohne einleitende Worte.
Die Situation? Eine ungewöhnliche Ausdrucksweise. Killien öffnet einen Umschlag und lässt mehrere Fotos sowie Polizei- und Autopsieberichte herausrutschen. Es dauert einen Moment, bis er verblüfft erkennt, dass Lamont das Opfer ist. Wurde letztes Jahr vergewaltigt und fast ermordet.
»Hallo? Sind Sie noch dran?« Der Polizeichef. »Ich seh’s mir gerade an«, erwidert Killien und räuspert sich.
Der Überfall ereignete sich im Schlafzimmer ihres Hauses in Cambridge, Massachusetts. Der Angreifer wurde von ebendiesem Win Garano erschossen. Was hatte der in ihrem Schlafzimmer zu suchen? Aha, da steht es. War besorgt aufgrund ihres Verhaltens am Telefon, fuhr zu ihrem Haus, sah, dass die Hintertür nur angelehnt war, überraschte den Angreifer und tötete ihn. Tatortfotos des Angreifers auf dem Boden von Lamonts Schlafzimmer, alles voller Blut.
Fotos von Lamont und ihren Verletzungen. Fesselspuren an den Handgelenken, den Fußknöcheln. Gebissabdrücke auf ihrer völlig nackten …
»Hören Sie mir überhaupt zu?« Die gebieterische Stimme des Polizeichefs.
»Natürlich, Sir.« Killien schaut aus dem Fenster auf das sich drehende Zeichen.
»Das Opfer war eine britische Staatsbürgerin, wie Sie inzwischen sicher wissen. Aus London«, sagt der Polizeichef.
So weit war Killien noch nicht gekommen, aber wenn er das jetzt eingestände, würde sein Vorgesetzter ihn zusammenstauchen. Killien vermeidet eine Antwort auf die Frage, indem er selbst eine stellt: »Wurde das damals nicht gründlich von der Met untersucht?« Er schiebt Papier auf seinem Schreibtisch herum. »Ich sehe hier nichts …«
»Wir wurden allem Anschein nach nicht kontaktiert. Offenbar schien es für uns nicht von Interesse zu sein. Der Freund der Toten war Amerikaner und Hauptverdächtiger, und selbst wenn es nur den geringsten Verdacht gegeben hätte, dass die Tote dem Boston Strangler zum Opfer gefallen war, hätte es keinen Grund gegeben, uns hinzuzuziehen.«
»Der Boston Strangler?«
»Das ist die Theorie der Staatsanwältin.«
Killien breitet im Krankenhaus
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