Undercover
den Kopf aus ihren Händen .
„Ich hab’ ihn nicht mehr.“
„Wie?“
Müde und gleichgültig zuckte sie die Schultern.
„Ich hab’ ihn weggeworfen.“
„Wohin, Chrissy, wohin?“
Ihr Blick verlor sich irgendwo am Küchenfenster .
„Ich weiß nicht mehr.“
Schlimmer hätte es kaum sein können. Wer weiß, wo Chrissy den Revolver hingeworfen hatte, vielleicht hatte ihn schon längst jemand gefunden und bei der Polizei abgeliefert. In kürzester Zeit würde man dann wissen, dass mit dieser Waffe Tim Wilcox erschossen worden war. Dann brauchte nur noch jemand, zum Beispiel Blix, sich an die Verbindung von Wilcox und Chrissy zu erinnern, ihre Fingerabdrücke auf der Waffe zu entdecken und scho n wäre Chrissy überführt. Und Josh gleich auch. Er wollte ihr Vorwürfe machen, aber wozu? Ihr schien alles gleichgültig zu sein.
Sicher hat sie w ieder Drogen genommen, dachte Josh , oder sie sind ihr ausgegangen und d eshalb ist sie so. Sollte er der Polizei Bescheid geben? Wäre das nicht sogar ein guter Schachzug? Wenn er schuldig wäre, würde er sich ja wohl kaum bei der Polizei melden... und – vielleicht hatte Chrissy ja den Revolver doch an einem Ort zurückgelassen, wo man ihn nie finden würde. Er wurde etwas zuversichtlicher.
„Chrissy, ich sage jetzt der Polizei Bescheid, dass sie dich nicht mehr suchen müssen.“
Selbst das war ihr vollkommen gleichgültig. Josh nahm das Telefon und die Visitenkarte von Detective Blix und ging ins Wohnzimmer. Nach langem Läuten nahm endlich jemand ab und sagte: „Ja?“
„Hier Josh Cline. Spreche ich mit Detective Blix?“
Als Josh auflegte, hatte er ein unangenehmes Gefühl. Wie sollte er Chrissy beibringen, dass gleich ein Polizist käme und sie befragen würde?
Nachdenklich ging er zurück in die Küche. Chr issy hockte noch immer teilnahmslos da. Er setzte sich zu ihr und bereitete sie auf den Besuch vor.
„Chrissy, glaub’ mir, die Polizei hat keine Ahnung. Sie wollen nur etwas über Tim Wilcox wissen.“
Chri ssy hob den Kopf und ihre leeren Augen machten ihm Angst.
„Dieser Detective ist nett. Aber sag’ ihm nicht, was passiert ist, Chrissy, und wenn er noch so gute Angebote macht. Du darfst nur dein Verhältnis mit Wilcox zugebe n. Sonst nichts, hörst du? Gar nichts! Und sag’ auf keinen Fall was über die Waffe, hörst, du?“
Chrissy hatte ihn die ganze Zeit über angesehen, als spreche er in einer unverständlichen Sprache zu ihr. Ihn befielen Zweifel, ob Chrissy in ihrem Zustand Detective Blix’ geschickten Fragen, die er sicher stellen würde, gewachsen wäre. Sollte sie nicht doch besser wieder verschwinden? Er überlegte . Sollte er sie wegschicken? Aber wohin? Sie konnte doch nicht irgendwo im Auto sitzen und warten bis er sie wieder abholen würde. Oder doch?
„Chrissy, meinst du, du hältst das durch ohne uns in Gefahr zu bringen?“
Josh nahm ihr Gesicht in seine Hände. Wie zart es war. Ihr durfte nichts geschehen.
„Chrissy, wenn das vorbei ist, dann hauen wir a b und fangen woanders neu an. Okay ? Willst du das auch?“
„Ja, Josh. Wir fangen neu an.“ Sie schien einen Moment zu lächeln, dann aber wurden ihre Augen dunkel und traurig.
60
Hätte Shane nicht durchs offene Fenster vom Strand her ein Weihnachtslied gehört, wäre er direkt in die Tiefgarage gefahren. Nicht weil er Weihnachtslieder so liebte, fuhr er auf dem Strandparkplatz, sondern weil er sich eingestehen musste, nicht zu wisse n, was er jetzt eigentlich im Apartm ent tun sollte. Shane stellte seinen Wagen ab und nahm mit einer Krücke mühsamer als gedacht die wenigen Stufen auf die überdachte Plattform des Loo with the view , wie die moderne Toilettenanlage am Strand treffend bezeichnet wurde. Von hier oben aus konnte man d en ganzen Strand überblicken. Shane stützte sich aufs Geländer. Was hatte sich hier in den letzten Tagen alles verändert!
Shane hatte gar nicht bemerkt, wie man unten am Strand ein gro ßes Trampolin aufgebaut hatte, auf dem sich gerade ein stämmiger Mann mit Glatze in einem Haltegurt, der an einem Kran hing, unsicher auf und ab federn ließ. Der Weihnachtsgesang aber kam von der Kindergruppe gleich vor ihm am Strand. Jungen und Mädchen in Schuluniform sangen ein Weihnachtslied . In Grüppchen standen Erwachsen de ihnen gegenüber , Strandgäste auf ihren Badetüchern hatten sich neugierig aufgerichtet. Die Kinder beendeten das Lied, die Erwachsenen klatschten Beifall, dann zog der Chor geordnet ab. Eine Gruppe von
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