Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
Drohungen oder Verhandlungen war keine Zeit mehr. Mein Timing war perfekt. Die Druckwelle hatte die Station schon erreicht, wirbelte Staub auf und ließ leere Trinkbecher umherrollen. Die ersten drei Wagen hatten die Einfahrtskurve schon hinter sich. Der Zug kreischte, bremste und hielt. Ich konnte sofort einsteigen, ohne aus dem Tritt zu kommen. Die Türen schlossen sich, und das Letzte, was ich von den Agenten sah, war das Bild, wie die beiden mit an die Hosennaht gepressten Pistolen auf der falschen Seite der Sperre standen.
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Ich war in einem R-Train. Der R-Train folgt dem Broadway zum Times Square und fährt dann ziemlich gerade zur 57th Street und Seventh Avenue, wo er scharf rechts abbiegt und an der 59th Street und Fifth Avenue, danach an der 60th Street und Lexington Avenue hält, bevor er unter dem East River hindurch nach Queens weiterfährt. Nach Queens wollte ich nicht. Ein schöner Stadtteil, keine Frage, aber nachts wenig aufregend, und ich hatte ohnehin das Gefühl, die Action finde anderswo statt. Bestimmt in Manhattan. Wahrscheinlich auf der East Side und nicht weit von der 57th Street entfernt. Lila Hoth hatte nur zur Täuschung im Four Seasons gewohnt. Folglich musste ihre eigentliche Basis irgendwo in der Nähe liegen. Nicht unmittelbar angrenzend, aber doch bequem erreichbar.
Und ihre eigentliche Basis war vermutlich ein Stadthaus, kein Apartment oder ein anderes Hotel. Weil sie eine Crew mitgebracht hatte, die unbemerkt kommen und gehen können musste.
Auf der East Side von Manhattan gibt es jede Menge Stadthäuser.
Ich blieb über den Times Square hinaus sitzen. Dort stiegen ein Dutzend Leute zu. In der einen Minute, die wir bis zur 49th Street brauchten, hatte mein Wagen siebenundzwanzig Fahrgäste an Bord. An der 49th Street stiegen fünf Leute aus; danach verringerte sich die Zahl der Fahrgäste bei jedem Halt. An der 59th Street und Fifth Avenue stieg auch ich aus. Aber ich verließ die Station nicht. Ich blieb einfach auf dem Bahnsteig stehen und verfolgte, wie die U-Bahn ohne mich weiterfuhr. Dann ließ ich mich auf einer Bank nieder, um zu warten.
Ich ging davon aus, dass die Agenten von der 22nd Street aus über Funk die Polizei alarmiert hatten. Ich stellte mir vor, wie Cops zu allen Stationen meines R-Trains unterwegs gewesen waren. Wie sie in ihren Wagen saßen oder auf den Gehsteigen standen, die Fahrt meines Zuges verfolgten, nervös warteten und sich dann wieder entspannten, wenn sie annehmen konnten, dass ich unter ihnen durchgefahren und weiter stadtauswärts unterwegs war. Ich stellte mir vor, wie sie noch etwa fünf Minuten auf ihrem Posten blieben und dann aufgaben. Also wartete ich. Zehn Minuten lang. Erst dann machte ich mich auf den Weg. Ich kam an die Oberfläche und stellte fest, dass niemand auf mich wartete. Ich stand an einer menschenleeren Straßenecke vor dem berühmten alten Hotel Plaza, das hell erleuchtet war.
Ich befand mich zwei Blocks nördlich und anderthalb Blocks westlich des Hotels Four Seasons und genau drei Blocks westlich der Stelle, an der Susan Mark in jener Nacht aus dem 6 Train nach oben gekommen wäre.
Und in diesem Augenblick wurde mir klar, dass Susan Mark nie zum Four Seasons unterwegs gewesen war. Nicht schwarz geklei-
det, bewaffnet und kampfbereit. In der Hotelhalle, auf den Korridoren oder in einer Suite konnte man nicht kämpfen. Wo Licht brannte, brachte schwarze Kleidung keinen Vorteil. Also wollte Susan anderswohin. Vermutlich geradewegs zu dem geheimen Ort, der sich in einer dunklen, diskreten Seitenstraße versteckte. Trotzdem musste er in dem ursprünglichen achtundsechzig Blocks großen Rechteck zwischen 42nd und 59th Street, Fifth und Third Avenue liegen. Wegen der Art der Bebauung am ehesten in einem der oberen Sektoren. Oben links oder oben rechts. Vielleicht in einem der beiden aus je sechzehn Blocks bestehenden Unterabschnitte.
Die was enthalten würden?
Ungefähr zwei Millionen verschiedene Dinge.
Was viermal besser war als acht Millionen verschiedene Dinge, aber nicht so viel besser, dass ich vor Freude einen Luftsprung gemacht hätte. Stattdessen überquerte ich die Fifth Avenue nach Osten, ging ohne bestimmtes Ziel weiter, achtete auf Autos und blieb möglichst im Schatten. Hier gab es viel weniger Obdachlose als in den Zwanzigern, sodass ich in einem Hauseingang liegend eher aufgefallen als getarnt gewesen wäre. Also behielt ich den Verkehr im Auge, bereit zu flüchten oder zu kämpfen, je nachdem, wer
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