Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
erfahren.
Wie ein Exsoldat.
Ich wich an die Fassade des Gebäudes hinter mir zurück, um beide Kerle gleichzeitig im Auge zu behalten. Nun hatte ich Leonid links und den anderen Kerl rechts von mir. Der zweite Mann war ein stämmiger Typ Mitte dreißig. Er schien eher aus dem Nahen Osten als aus Osteuropa zu stammen. Dunkelhaarig, stiernackig. Nicht besonders groß, aber dafür umso breiter. Wie Leonid trug er einen billigen schwarzen Jogginganzug. Als ich die Kleidung der beiden betrachtete, fiel mir ein Wort ein.
Das Wort lautete: Wegwerfartikel .
Der Kerl machte einen Schritt auf mich zu.
Das tat auch Leonid.
Wie immer gab es zwei Möglichkeiten: Kampf oder Flucht. Wir befanden uns auf der Südseite der 56th Street. Ich hätte geradeaus über die Fahrbahn rennen und mein Heil in der Flucht suchen können. Aber Leonid und sein Kumpel waren vermutlich schneller als ich. Dazu gehörte nicht viel. Die meisten Menschen sind schneller als ich. Die alte Dame in dem Sommerkleid war vermutlich schneller als ich. Ihr alter grauer Köter war vermutlich schneller als ich.
Und zu flüchten wäre schlimm genug gewesen. Wegzulaufen und sofort eingeholt zu werden wäre völlig würdelos gewesen.
Also blieb ich, wo ich war.
Links machte Leonid einen weiteren Schritt auf mich zu.
Rechts folgte der Stämmige seinem Beispiel.
Was die US Army versäumt hatte, als es darum gegangen war, mir beizubringen, mich unsichtbar zu machen, hatte sie durch eine erstklassige Nahkampfausbildung wettgemacht. Mich hatte man sofort dafür eingeteilt. Ich war wie viele Berufssoldaten-Kinder. Wir kamen aus merkwürdigen Verhältnissen, hatten in allen möglichen Ländern gelebt. Zu unserer Kultur gehörte es, von den Einheimischen zu lernen. Nicht ihre Sprache, Geschichte oder Politik, sondern wie man kämpft. Ihre bevorzugten Methoden. Kampfsportarten in Fernost, Prügeleien in heruntergekommenen Gegenden Europas, Messer, Steine und Flaschen in miesen Gegenden der Staaten. Mit etwa zwölf Jahren hatten wir das alles zu einer Wildheit ohne Hemmungen eingedampft. Vor allem ohne Hemmungen. Wir hatten gelernt, dass Hemmungen einem schneller Schmerzen zufügen können als alles andere. Tu’s einfach, lautete unser Motto, lange bevor Nike anfing, Schuhe herzustellen. Diejenigen unter uns, die selbst zum Militär gingen, wurden gefördert und weiter ausgebildet. Mit zwölf glaubten wir, harte Burschen zu sein. Mit achtzehn hielten wir uns für unbesiegbar. Das waren wir nicht. Aber mit fünfundzwanzig kamen wir diesem Ideal ziemlich nahe.
Leonid machte einen weiteren Schritt.
Der andere Kerl tat es ihm nach.
An Leonids Hand sah ich einen Schlagring.
Das Gleiche galt für den Stämmigen.
Beide hatten sie ihn rasch und mühelos übergestreift. Leonid trat einen Schritt zur Seite. Das tat auch der andere Typ. So verbesserten sie ihren Winkel. Ich stand mit dem Rücken an einem Gebäude und hatte in einem Winkel von hundertachtzig Grad freien Raum vor mir. Beide wollten links und rechts von sich einen freien Winkel von fünfundvierzig Grad haben. Versuchte ich dann zu fliehen, waren alle Richtungen gleich gut blockiert. Die beiden Kerle glichen einem eingespielten Tennisdoppel. Langes Training, gegenseitige Unterstützung und instinktives Verständnis.
Beide waren Rechtshänder.
Die erste Regel, wenn man gegen Männer mit Schlagringen antritt: Lass dich nicht treffen. Vor allem nicht am Kopf. Aber auch Treffer am Arm oder an den Rippen können Knochenbrüche und Muskellähmungen zur Folge haben.
Treffer vermeidet man am besten dadurch, dass man seine Waffe zieht und die Gegner aus ungefähr drei Metern Entfernung erschießt. Nahe genug, um sie nicht zu verfehlen, entfernt genug, um getroffen werden zu können. Ende der Vorstellung. Aber diese Möglichkeit hatte ich nicht. Ich war unbewaffnet. Die zweitbeste Methode besteht darin, die Gegner von sich fernzuhalten oder eng an sich zu drücken. Sind sie weit weg, können sie wild um sich schlagen und treffen doch nicht. Hält man sie an sich gedrückt, können sie überhaupt nicht zuschlagen. Auf Distanz hält man sie durch überlegene Reichweite, wenn man sie besitzt, oder indem man die Füße benutzt. Meine Reichweite ist spektakulär. Ich habe sehr lange Arme. Im Vergleich zu mir hatte der Gorilla im Fernsehen nur Armstummel. Aber ich hatte es mit zwei Kerlen zu tun und wusste nicht recht, ob Fußtritte eine Option waren, die ich zusätzlich nutzen konnte. Vor allem weil ich miserable Schuhe
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