Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
zwei, drei Zentimeter nach oben, dann klemmte sie. Ich wendete mehr Kraft auf. Zuletzt fast so viel wie bei den Eisenkäfigen im Keller des ehemaligen Feuerwehrhauses. Das Schiebefenster bewegte sich ruckelnd nach oben, klemmte mal links, mal rechts, leistete immer neuen Widerstand. Ich ging in die Hocke, schob meine Schulter unter das Querholz und kam langsam hoch. Das Fenster glitt zwanzig Zentimeter höher, dann war es endgültig blockiert. Ich machte einen Schritt zurück. Kühle Nachtluft strömte herein. Die Öffnung war ungefähr einen halben Meter hoch.
Mehr als genug.
Ich schob ein Bein übers Fensterbrett, knickte den Oberkörper ab, schlängelte mich hindurch und zog das andere Bein nach.
Das Handy in meiner Tasche vibrierte.
Ich achtete nicht darauf.
Ich stieg die Eisentreppe hinauf, setzte dabei langsam und lautlos einen Fuß vor den anderen. Auf halber Höhe befand mein Kopf sich auf Höhe der Fensterbretter im dritten Stock, sodass ich die auf die Straße hinausführenden Fenster sehen konnte.
Beide waren mit Vorhängen verschlossen. Schmutzig braunes altes Baumwollgewebe hinter rußgeschwärztem Glas. Dahinter kein sichtbares Licht. Keine Geräusche. Keine erkennbaren Aktivitäten. Ich drehte mich um und schaute auf die Straße hinunter. Keine Fußgänger. Keine Passanten. Kein Verkehr.
Ich stieg zum vierten Stock hinauf. Diese Etage war anders. Keine Vorhänge. Leere Räume. Die Fußböden waren fleckig, die Decken hingen an einigen Stellen durch. Schäden von Regenwasser.
Die Schiebefenster im vierten Stock waren arretiert. Mit den gleichen einfachen Messingriegeln, die ich unten gesehen hatte und denen ich nicht beikommen konnte, ohne die Scheiben einzuschlagen. Was Krach machen würde. Wozu ich aber bereit war – nur nicht schon jetzt. Ich wollte den richtigen Zeitpunkt abwarten.
Ich verschob den Nylongurt, bis die MP 5 auf meinem Rücken hing, und setzte einen Fuß aufs Fensterbrett. Dann richtete ich mich auf und griff nach dem bröckelnden Dachsims hoch über meinem Kopf. Ich machte einen Klimmzug, bekam ein Bein über die Kante und hievte mich aufs Dach. Kein eleganter Anblick. Aber ich bin eben kein gelenkiger Turner. Zuletzt lag ich bäuchlings, keuchend und mit gespreizten Armen und Beinen auf dem von Unkraut bedeckten Dach. Ich blieb einen Augenblick liegen, um Atem zu schöpfen, richtete mich dann kniend auf und sah mich nach einer Falltür um. Ich entdeckte eine ungefähr zehn Meter hinter mir, wo ich den Treppenabsatz im obersten Stock vermutete. Sie bestand aus einem schlichten Holzrahmen mit übergreifendem Deckel, beide Teile mit Bleiblech beschlagen und durch ein Scharnier miteinander verbunden. Wahrscheinlich von innen mit einer Haspe und Vorhängeschloss verriegelt. Das Schloss würde massiv, die Haspe jedoch an den Rahmen geschraubt und der Holzrahmen von Alter, Fäulnis und eindringendem Wasser geschwächt sein.
Kein Problem.
Die Standardtaktik bei jedem Überfall: aus überhöhter Position angreifen.
80
Um die Falltür herum war das Bleiblech mit einem Filzhammer festgeklopft worden. Nirgends eine scharfe Ecke. Ich schob meine behandschuhten Finger unter die Kante gegenüber dem Scharnier und ruckte kräftig daran. Ergebnislos. Nun machte ich Ernst. Zwei Hände, acht Finger, gebeugte Knie, tief Luft holen. Ich schloss die Augen. An Peter Molina mochte ich nicht denken. Also dachte ich an Lila Hoths irres Lächeln, als sie vor laufender Kamera versucht hatte, den Puls des ermordeten Taxifahrers aus Kabul zu finden.
Ich riss den Deckel hoch.
Im nächsten Augenblick geriet die Nacht aus den Fugen.
Ich hatte gehofft, die Befestigungsschrauben der Haspe aus der Falltür oder dem Rahmen reißen zu können, doch sie wurden aus beiden Teilen gerissen. Vorhängeschloss und Haspe fielen in freiem Fall drei Meter tief und schlugen krachend auf dem Holzboden auf. Ein unüberhörbar lautes, schepperndes Geräusch, gefolgt vom Klirren der Haspe und dem Geklapper sechs einzelner Schrauben.
Nicht gut.
Gar nicht gut.
Ich klappte die Falltür auf und hockte mich an den Rand, um zu lauschen und die Lage zu peilen.
Einige Sekunden lang passierte nichts.
Dann hörte ich, wie unter mir im vierten Stock eine Tür geöffnet wurde.
Ich zielte mit der MP 5.
Noch eine Sekunde Pause. Dann kam ein Kopf in Sicht. Schwarzhaarig. Ein Kerl. Mit einer Pistole in der Hand. Er entdeckte das Vorhängeschloss auf dem Fußboden. Ich glaubte das Räderwerk in seinem Kopf arbeiten zu sehen:
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