Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
hätte glauben können, er beurteile meine Leistung und finde sie zufriedenstellend. Als hätte ich seine Arbeitgeber in ungefähr der Zeitspanne erreicht, die er dafür veranschlagt hatte. Nicht schneller, nicht langsamer, sondern genau in der Mitte des Zeitfensters, das er mir zugebilligt hatte. Er bedachte mich mit dem nüchtern abschätzenden Blick eines Profis und ging wortlos weiter.
Ich kehrte nach New York zurück, wie ich hergekommen war – nur in umgekehrter Reihenfolge. Taxi zum Busbahnhof Greensboro, Bus nach Washington, dann weiter mit dem Zug. Die Reise dauerte den ganzen Tag und sogar bis in den Abend hinein. Die Fahrpläne von Bus und Bahn waren nicht besonders gut aufeinander abgestimmt, und die beiden ersten Züge nach New York waren ausgebucht. Unterwegs hatte ich viel Zeit, darüber nachzudenken, was Sansom gesagt hatte – und was nicht. Nichts in diesem Leben ist ganz schwarz oder weiß. Das wissen Sie selbst. Aber Verbrechen sind keine verübt worden. Und außerdem hätte niemand über eine HRC -Angestellte die Wahrheit herausbekommen können. Kein Leugnen fragwürdiger Aktivitäten. Fast das Gegenteil. Praktisch ein Geständnis. Aber er hatte das Gefühl, noch im Rahmen geblieben zu sein. Keine Verbrechen. Und er war sich völlig sicher, dass alle Unterlagen darüber für immer weggesperrt waren. Insgesamt ein für exponierte ehemalige Soldaten häufiger Status. Fragwürdig war ein für uns alle wichtiges Wort. Nur zehn Buchstaben, aber mit jeder Menge Hintersinn. Auch meine eigene Laufbahn hätte einer genauen Untersuchung sicherlich nicht standgehalten. Das kostet mich keine schlaflosen Nächte, aber im Allgemeinen bin ich froh, dass die Details unter Verschluss bleiben. Und das war Sansom offenbar auch. Meine Details kannte ich. Aber wie sahen seine aus? Irgendwie mussten sie ihm schaden können, das war klar. Entweder ihm persönlich oder seiner Wahlkampagne. Oder beidem. Das hatten die Feds mir unmissverständlich klargemacht. Sansom kann es sich nicht leisten, Ihnen irgendetwas zu erzählen . Aber auch in größerem Rahmen schädlich, denn wieso wären die Feds sonst damit befasst gewesen?
Und wer, zum Teufel, war Lila Hoth?
Alle diese Fragen gingen mir auf der holprigen Busfahrt und in der langen Wartezeit auf der Union Station durch den Kopf, und ich gab die Beschäftigung mit ihnen erst auf, als der Zug, in dem ich schließlich saß, durch Baltimore nach Norden rollte. Ich war mit keiner von ihnen weitergekommen und dachte inzwischen ohnehin über etwas anderes nach. Ich überlegte mir, wohin Susan Mark in New York City unterwegs gewesen sein mochte. Sie war von Süden gekommen und hatte vorgehabt, ihren Wagen irgendwo abzustellen und ihr Ziel mit der U-Bahn zu erreichen. Taktisch clever und vermutlich kaum anders möglich. Im Auto würde sie ihre Daunenjacke nicht getragen haben. Zu warm. Vermutlich hatte sie mit der Umhängetasche und dem Revolver auf dem Rücksitz gelegen – oder besser im Kofferraum, in dem die Waffe vor neugierigen Blicken sicher gewesen war. Deshalb hatte sie beschlossen, in einiger Entfernung relativ ungestört zu parken, auszusteigen und sich kampfbereit zu machen.
Aber in nicht zu großer Entfernung. Nicht allzu weit von ihrem eigentlichen Ziel entfernt. Weil sie aufgehalten worden war. Wegen des Staus auf der Turnpike kam sie viel zu spät. Wäre sie stadtauswärts unterwegs gewesen, hätte sie irgendwo in Midtown ihr Auto abgestellt. Aber sie hatte gleich in SoHo geparkt. War vermutlich in der Spring Street eingestiegen – eine Station vor mir. Bis nach der 33rd Street hatte sie auf ihrem Platz ausgeharrt. Dann war alles aus den Fugen geraten. Wäre das nicht passiert, wäre sie vermutlich unter dem Grand Central Terminal weitergefahren und in der 51st Street ausgestiegen. Vielleicht auch in der 59th Street. Aber bestimmt nicht später. Die 68th Street war eine Haltestelle zu weit. Sie lag schon in der Upper East Side. In einem ganz neuen Stadtteil. Hätte sie dorthin gewollt, hätte sie nicht den Holland Tunnel, sondern den Lincoln Tunnel benutzt und wäre weiter nach Norden gefahren, um zu parken. Weil sie unter Zeitdruck gestanden hatte. Deshalb war die Station 59th Street ihr äußerstes Limit gewesen. Aber nach dem Aussteigen würde sie meiner Ansicht nach versucht haben, wenigstens ein kleines Stück weit zurückzugehen. Reine Amateurpsychologie. Annäherung von Süden, etwas übers Ziel hinausschießen, von Norden ankommen. Und dabei hoffen,
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