Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
sitzt.«
»Und Sie haben Mitleid mit ihr?«
»Das haben Sie auch, allerdings weniger. Sie sind nicht nur in der Politik, weil Sie sich davon persönliche Vorteile versprechen. Das hoffe ich zumindest sehr.«
»Sind Sie wirklich einer meiner Wähler?«
»Erst wenn Sie zum Präsidenten gewählt werden.«
Sansom schwieg einen Augenblick, dann sagte er: »Das FBI hat mich ebenfalls informiert. In meiner Position kann ich diesen Leuten manchmal einen Gefallen tun, daher halten sie mich auf dem Laufenden. Sie sagen, dass das NYPD vermutet, dass Sie auf diese Sache mit Schuldgefühlen reagieren. Vielleicht weil Sie ihr zu hart zugesetzt haben. Und Schuldgefühle sind nie eine Grundlage für gute Entscheidungen.«
Ich sagte: »Das ist die Ansicht einer einzigen Frau.«
»Irrt sie sich?«
Ich schwieg.
Sansom sagte: »Von mir hören Sie kein einziges verdammtes Wort über diese Einsätze.«
Ich sagte: »Das erwarte ich auch nicht.«
»Aber?«
»Wie sehr könnte es Ihnen schaden, wenn es nachträglich bekannt würde?«
»Nichts in diesem Leben ist ganz schwarz oder weiß. Das wissen Sie selbst. Aber Verbrechen sind keine verübt worden. Und außerdem hätte niemand über eine HRC -Angestellte die Wahrheit herausfinden können. Irgendjemand angelt hier nach Informationen. Dies ist schlimmster Amateurjournalismus, mit dem nur Schlamm aufgewühlt werden soll.«
»Das glaube ich nicht«, entgegnete ich. »Susan Mark war völlig verängstigt, und ihr Sohn ist verschwunden.«
Sansom wechselte einen Blick mit seiner Frau. Dann wandte er sich wieder mir zu. Er sagte: »Das wussten wir nicht.«
»Weil es bisher keine Vermisstenmeldung gibt. Er studiert im letzten Jahr an der USC . Vor fünf Tagen hat er eine Bar in Begleitung einer jungen Frau verlassen. Ist seitdem nicht wieder gesehen worden. Hat sich angeblich nur unerlaubt von der Truppe entfernt und genießt die schönste Zeit seines Lebens.«
»Und das wissen Sie woher?«
»Von Susan Marks Bruder. Dem Onkel des Jungen.«
»Und Sie glauben diese Story nicht?«
»Ein allzu zufälliges Zusammentreffen.«
»Nicht unbedingt. Junge Männer verlassen Bars dauernd mit jungen Frauen.«
»Sie sind selbst Vater«, sagte ich. »Was würde Sie dazu bringen, sich zu erschießen, und was nicht?«
In dem Raum wurde es noch stiller. Elspeth Sansom sagte: »Shit.« In John Sansoms Augen trat der geistesabwesend wirkende Blick, den ich schon bei anderen guten Truppenführern gesehen hatte, die auf einen taktischen Rückschlag reagierten. Umplanen, reorganisieren, umgruppieren – alles in Sekundenschnelle. Ich sah ihm an, dass er in die Vergangenheit zurückging und zu einer unwiderlegbaren Schlussfolgerung gelangte. Er sagte: »Die Situation der Familie Mark tut mir leid, echt leid. Und ich würde helfen, wenn ich könnte, aber das kann ich nicht. In meiner Delta-Laufbahn gibt es nichts, was über das HRC zugänglich wäre. Überhaupt nichts. Hier muss es um etwas ganz anderes gehen, oder jemand sucht am völlig falschen Ort.«
»Wo müsste man denn suchen?«
»Das wissen Sie selbst. Und Sie wissen, dass niemand auch nur in die Nähe gelangen könnte. Und jemand, der genug weiß, um Delta-Unterlagen zu wollen, wüsste bestimmt auch, wo er sie zu suchen hat. Also geht’s hier um nichts, was mit den Special Forces zusammenhängt. Ausgeschlossen.«
»Worum könnte es sonst gehen?«
»Nichts. Ich habe eine weiße Weste.«
»Wirklich?«
»Völlig. Zu hundert Prozent. Ich bin kein Idiot. Hätte ich das Geringste zu verbergen, wäre ich nicht in die Politik gegangen. Nicht unter den heutigen Umständen. Ich habe niemals auch nur eine Anzeige wegen Falschparkens bekommen.«
»Okay«, sagte ich.
»Das mit der Frau in der U-Bahn tut mir leid.«
»Okay«, sagte ich noch mal.
»Aber wir müssen jetzt wirklich gehen. Vor uns liegt eine ziemlich anstrengende Bettelei.«
Ich fragte: »Schon mal den Namen Lila Hoth gehört?«
»Lila Hoth?«, sagte Sansom. »Nein, diesen Namen habe ich nie gehört.«
Ich beobachtete wieder seine Augen und hatte das Gefühl, er sage die volle Wahrheit. Und lüge das Blaue vom Himmel herunter. Beides gleichzeitig.
26
Auf dem Rückweg durch die Hotelhalle begegnete ich Springfield. Ich war zum Ausgang unterwegs, er kam aus einem Speisesaal. Hinter ihm sah ich runde Tische mit schneeweißen Tischdecken, in deren Mitte große Blumenarrangements standen. Springfield blickte mich an, ohne sich die geringste Überraschung anmerken zu lassen. Man
Weitere Kostenlose Bücher