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Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)

Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)

Titel: Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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kurzen Ablauf nochmals vor Augen geführt und ihn sehr sorgfältig analysiert, wäre ihnen vielleicht aufgefallen, dass ich losgestürmt war, kurz bevor der Kerl zusammensackte. Sie hätten bemerken können, dass meine rechte Hand zwar nach vorn schoss, um ihn am Kragen zu packen – aber erst eine Zehntelsekunde nachdem meine linke Faust bereits seinen Solarplexus getroffen hatte: mit voller Kraft, aber zwischen unseren Körpern, heimlich und verdeckt.
    Aber die Leute sehen, was sie sehen wollen. Das war schon immer so, und so wird es auch bleiben. Ich kniete neben dem Kerl wie der verantwortungsbewusste Bürger, der ich zu sein vorgab, und die Zwillingsmutter schob ihren Kinderwagen an mir vorbei. Dann versammelte sich eine kleine besorgte Menge. New Yorks schlechter Ruf ist unverdient. Der New Yorker ist im Allgemeinen sehr hilfsbereit. Eine Frau ging neben mir in die Hocke. Weitere Leute bildeten einen Kreis und schauten auf uns herab. Ich konnte ihre Beine und Schuhe sehen. Der Kerl in der Lederjacke lag auf dem Rücken, wand sich mit Brustkrämpfen und rang verzweifelt nach Luft. Das kann ein kraftvoller Schlag gegen den Solarplexus bewirken. Aber auch ein Herzanfall oder alle möglichen anderen medizinischen Komplikationen.
    Die Frau neben mir fragte: »Was ist passiert?«
    Ich sagte: »Keine Ahnung. Er hat die Augen verdreht und ist einfach umgekippt.«
    »Wir sollten einen Krankenwagen rufen.«
    Ich sagte: »Mein Handy ist mir aus der Hand gefallen.«
    Die Frau fing an, in ihrer Handtasche zu wühlen. Ich sagte: »Warten Sie. Vielleicht hat er eine Episode. Wir müssen nachsehen, ob er eine Karte bei sich hat.«
    »Eine Episode?«
    »Einen Anfall. Oder Krämpfe. Wie Epilepsie oder dergleichen.«
    »Was für eine Art Karte?«
    »Leute tragen sie bei sich. Mit Anweisungen für den Notfall. Vielleicht müssen wir ihn daran hindern, sich auf die Zunge zu beißen. Möglicherweise hat er ein Medikament dabei. Sehen Sie mal in seinen Taschen nach.«
    Die Frau streckte eine Hand aus und tastete die Jackentaschen des Kerls von außen ab. Sie hatte kleine Hände, lange Finger, trug mehrere Ringe. Die äußeren Taschen waren leer. Die Frau griff in die Lederjacke und kontrollierte die Innentaschen. Ich beobachtete sie aufmerksam. Das Hemd war die unglaublichste Kreation, die ich je gesehen hatte. Acrylfarben, geblümt, eine Orgie in Pastelltönen. Die Jacke wirkte billig und fühlte sich steif an. War mit Nylon gefüttert. Auf der linken Innentasche prangte ein reich verziertes Stoffetikett in kyrillischer Schrift.
    Auch die Innentaschen des Mannes waren leer.
    »Jetzt die Hosentaschen«, sagte ich. »Schnell.«
    Die Frau sagte: »Das kann ich nicht.«
    Also beugte sich irgendein tatkräftiger leitender Angestellter zu uns hinunter und schob seine Finger in die vorderen Hosentaschen. Anschließend benutzte er sie als Griffe, um den Kerl erst nach links, dann nach rechts zu drehen und die Hüfttaschen zu kontrollieren. Auch sie waren leer.
    Nichts. Keine Geldbörse, kein Ausweis, überhaupt nichts.
    »Okay, dann rufen wir lieber einen Krankenwagen«, sagte ich. »Sieht jemand irgendwo mein Handy?«
    Die Frau schaute sich suchend um, dann schob sie eine Hand unter den Arm des Kerls und brachte das Handy zum Vorschein. Dabei verschob sich der Deckel nach oben, und der Bildschirm leuchtete auf. Er zeigte mein Bild: riesengroß und unverkennbar. In besserer Qualität, als ich vermutet hätte. Besser als die Aufnahme, die der Verkäufer im Radio Shack von mir gemacht hatte. Die Frau warf einen Blick darauf. Ich wusste, dass manche Leute Bilder auf ihren Handys haben. Ich hatte schon selbst welche gesehen. Ihre Partner, ihre Hunde, ihre Katzen, ihre Kinder. Wie eine Homepage oder ein Hintergrundbild. Vielleicht dachte die Frau, ich sei ein maßloser Narziss, der ein Foto von sich selbst auf dem Bildschirm hatte. Aber sie gab mir das Handy trotzdem. Inzwischen wählte der tatkräftige leitende Angestellte bereits die Notrufnummer. Also stand ich auf, trat einen Schritt zurück und erklärte: »Ich gehe einen Cop holen.«
    Ich mischte mich wieder unter den Menschenstrom und ließ mich von ihm mitreißen: durch einen Ausgang hinaus auf den Gehsteig und in die Dunkelheit.

28
     
    Nun war ich nicht mehr dieser Kerl. Nicht länger der einzige Mensch der Welt, der kein Handy besaß. Drei Blocks weiter machte ich auf der Seventh Avenue halt, um meine Beute zu begutachten. Ein Motorola-Handy aus grauem Kunststoff, der irgendwie so

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