Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
aufschaute, sagte ich: »Ich bin zu Sansoms Frühstück hier.«
Die junge Frau gab keine Antwort. Sie kämpfte darum, irgendwie zu reagieren, als hätte ich sie durch übermäßig viele Informationen in Verlegenheit gebracht. Ich sagte: »Mein Ticket sollte hier hinterlegt werden.«
»Ihr Ticket?«
»Meine Einladung.«
»Von wem?«
»Elspeth«, antwortete ich. »Mrs Sansom, meine ich. Oder ihr Kerl.«
»Welcher Kerl?«
»Ihr Sicherheitsmensch.«
»Mr Springfield?«
Ich lächelte in mich hinein. Auch Springfield baute automatische Gewehre – genau wie Browning. Der Mann mochte Wortspiele, was amüsant, aber ziemlich dumm war. Falsche Namen funktionieren besser, wenn sie keinerlei Bezug zur Realität haben.
Ich fragte: »Haben Sie sie heute Morgen schon gesehen?« Das war ein Versuch, raffiniert vorzugehen. Greensboro gehörte meiner Vermutung nach nicht mehr zu Sansoms Wahlkreis. Wer für den Senat kandidieren wollte, musste im ganzen Staat bekannt sein und überall Geld einsammeln. Ich rechnete mir aus, dass Sansom seinen Wahlkreis hinter sich wusste, sodass er jetzt seinen Radius erweitern konnte. Er hatte wahrscheinlich hier übernachtet, um heute früh anfangen zu können. Aber das wusste ich nicht sicher. Zu fragen, ob er schon aus seinem Zimmer heruntergekommen sei, würde mich wie einen Idioten dastehen lassen, wenn er fünf Autominuten entfernt wohnte. Zu fragen, ob er schon angekommen sei, würde mich ebenso dumm aussehen lassen, wenn er hier im O. Henry wohnte. Also zielte ich auf Neutralität ab.
Die Frau sagte: »Meines Wissens sind sie noch oben.«
»Danke«, erwiderte ich, ging zurück in die Halle und entfernte mich so von den Aufzügen, damit sie sich in dieser Beziehung keine Sorgen zu machen brauchte. Ich wartete, bis ihr Telefon klingelte, worauf sie zu tippen begann und sich auf ihren Computerbildschirm konzentrierte; dann schlängelte ich mich unauffällig die Seitenwand entlang zu den Aufzügen und drückte den Rufknopf.
Sansom hatte bestimmt eine große Suite gebucht – und die großen Suiten lagen meist im obersten Stockwerk. Also drückte ich den Knopf mit der höchsten Zahl, die der Aufzug zu bieten hatte. Lange Sekunden später trat ich auf einen mit hochflorigem Teppichboden ausgelegten Flur hinaus und sah vor einer zweiflügligen Mahagonitür einen uniformierten Cop in entspannter Haltung stehen. Ein Streifenpolizist der hiesigen Polizei. Nicht jung. Ein Veteran, der die ersten mühelosen Überstunden genossen hatte. Ein symbolischer Bewacher. Ich ging mit leicht bedauerndem Grinsen auf ihn zu, als wollte ich sagen: He, Sie arbeiten, ich arbeite, was bleibt einem schließlich anderes übrig? Ich ging davon aus, dass er heute schon einige Personen eingelassen hatte: Zimmerkellner mit Kaffee, Mitarbeiter Sansoms, die triftige Gründe für ihre Anwesenheit hatten, vielleicht auch Journalisten. Ich nickte ihm zu und sagte: »Jack Reacher für Mr Sansom«, und klopfte an die Tür. Er reagierte nicht. Beschwerte sich nicht. Stand einfach nur da wie ein Holzklotz, der er eigentlich war. Unabhängig davon, wofür Sansom kandidierte, war er nur ein Abgeordneter aus der Provinz und weit davon entfernt, effektiven Personenschutz zu erhalten.
Wenige Sekunden später wurde die Tür der Suite geöffnet. Vor mir stand Mrs Sansom. Sie war angezogen, frisiert, geschminkt, für den Tag gerüstet.
»Hallo, Elspeth«, sagte ich. »Darf ich reinkommen?«
25
Hinter Elspeth Sansoms Augen sah ich das rasche, nüchterne Kalkül einer erfahrenen Politikergattin. Ihr erster Impuls: Schmeiß den Penner raus. Aber: Auf dem Flur stand ein Cop, und wahrscheinlich waren schon Medienvertreter im Haus, und bestimmt gab es Hotelpersonal in Hörweite. Und alle Einheimischen tratschten. Deshalb schluckte sie trocken und sagte: »Major Reacher, wie nett, Sie wiederzusehen«, und machte einen Schritt zur Seite, um mich eintreten zu lassen.
Die Suite war groß, wegen der Samtportieren an den Fenstern etwas düster und voller schwerer Möbel in gedämpften Farben. Es gab ein Wohnzimmer mit einer Frühstückstheke und einer offenen Tür, hinter der sich ein Schlafzimmer befinden musste. Elspeth Sansom führte mich in die Raummitte und blieb dann stehen, als wüsste sie nicht, was sie weiter mit mir anfangen solle. Dann kam John Sansom aus dem Schlafzimmer, um nachzusehen, was all das Theater bedeutete.
Er trug eine Anzughose, ein Oberhemd, eine Krawatte und schwarze Socken. Keine Schuhe. Er sah klein aus,
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