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Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)

Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)

Titel: Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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beschrieb sie wie eine Augenzeugin. Als hätte sie alles gestern miterlebt. Ihre anfängliche historische Distanziertheit hatte sie längst abgelegt. Mir kam der Gedanke, dass sie eine gute Geschichtenerzählerin abgeben würde. Sie war eine hochbegabte Erzählerin.
    Sie fuhr fort: »Am liebsten haben sie unsere Scharfschützen gefangen genommen. Sie haben diese Männer gehasst. Scharfschützen sind immer verhasst, glaube ich, vielleicht wegen der Art, wie sie töten. Meine Mutter hat sich natürlich große Sorgen um meinen Vater gemacht. Und um ihren kleinen Bruder. Die beiden sind jede Nacht mit dem Nachtsichtgerät in die Hügel losgezogen. Nicht allzu weit. Vielleicht tausend Meter, um einen günstigen Winkel zu finden. Manchmal etwas weiter. Entfernt genug, um effektiv zu sein, aber nahe genug, um sich sicher fühlen zu können. Wirklich sicher war man allerdings nirgends. Gefahr drohte überall. Und sie mussten losziehen. Sie hatten den Befehl, Feinde zu töten. Ihre Absicht war auch, Gefangene zu erschießen. Sie dachten, das sei ein gnädiger Tod. Das waren schreckliche Zeiten. Und meine Mutter war inzwischen schwanger, mit mir. Ich bin im Korengaltal in einem felsigen Schützengraben gezeugt worden – unter einem Soldatenmantel, der aus dem Zweiten Weltkrieg stammte, und auf zwei weiteren, die wahrscheinlich noch älter waren. Von meiner Mutter weiß ich, dass sie Einschusslöcher hatten, vielleicht aus Stalingrad.«
    Ich schwieg. Swetlana starrte weiter vor sich hin. Lila legte die Hände auf den Tisch und schlang die Finger lose ineinander. Sie sagte: »In den ersten vier, fünf Wochen sind mein Vater und mein Onkel jeden Morgen heil zurückgekommen. Sie waren ein gutes Team. Vielleicht das beste.«
    Swetlana starrte ins Leere. Lila nahm die Hände vom Tisch und machte eine kurze Pause. Dann setzte sie sich auf und straffte die Schultern. Ein Tempowechsel. Ein Themenwechsel. Sie erklärte: »Damals waren Amerikaner in Afghanistan.«
    Ich sagte: »Tatsächlich?«
    Sie nickte.
    Ich sagte: »Was für Amerikaner?«
    »Soldaten. Nicht viele, aber einige. Nicht immer, aber manchmal.«
    »Glauben Sie?«
    Sie nickte erneut. »Die US Army war eindeutig dort. Die Sowjetunion war ihr Feind, und die Mudschaheddin waren ihre Verbündeten. So wurde der Kalte Krieg als Stellvertreterkrieg geführt. Präsident Reagan war es sehr recht, dass die Rote Armee zermürbt wurde. Das gehörte zu seiner antikommunistischen Strategie. Und er hat dankbar die Gelegenheit genutzt, einige unserer neuen Waffen zu erbeuten. Deshalb wurden Teams entsandt. Special Forces. Sie waren regelmäßig in Afghanistan im Einsatz. Und im März 1983 hat eines dieser Teams nachts meinen Vater und meinen Onkel überfallen und ihnen ihr Scharfschützengewehr AS VAL geraubt.«
    Ich schwieg.
    Lila sagte: »Der Verlust des Gewehrs stellte natürlich eine Niederlage dar. Noch schlimmer war jedoch, dass die Amerikaner meinen Vater und meinen Onkel den einheimischen Frauen überlassen haben. Das wäre nicht nötig gewesen. Natürlich mussten sie zum Schweigen gebracht werden, weil die Anwesenheit der Amerikaner streng geheim war und weiter getarnt werden musste. Aber die Amerikaner hätten meinen Vater und meinen Onkel selbst liquidieren können, rasch, geräusch- und schmerzlos. Sie haben sich dagegen entschieden. Meine Mutter hat ihre Schreie den ganzen nächsten Tag lang und bis in die Nacht hinein gehört. Ihr Ehemann und ihr Bruder. Sechzehn, achtzehn Stunden. Sie hat gesagt, auch vor Schmerzen brüllend habe sie die beiden noch an ihren Stimmen unterscheiden können.«

37
     
    Ich sah mich im Teesalon des Four Seasons um, veränderte meine Sitzhaltung etwas und sagte: »Tut mir leid, aber ich glaube Ihnen nicht.«
    Lila Hoth beteuerte: »Ich sage die Wahrheit.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich war in der US Army. Bei der Militärpolizei. Im Allgemeinen wusste ich, wo Leute im Einsatz waren und wo nicht. Und in Afghanistan gab es keine amerikanischen Soldaten. Nicht damals. Nicht während dieses Konflikts. Der war eine rein lokale Angelegenheit.«
    »Aber die USA waren an seinem Ausgang interessiert.«
    »Natürlich. Wie die Sowjetunion, als wir in Vietnam waren. Ist die Rote Armee damals im Land gewesen?«
    Das war eine rhetorische Frage, die als Argument dienen sollte, aber Lila Hoth nahm sie ernst. Sie beugte sich über den Tisch und sprach mit ihrer Mutter, leise und schnell, in einer Sprache, die ich für Ukrainisch hielt. Swetlanas Augen

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