Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
weiteten sich etwas, und sie legte den Kopf schief, als versuchte sie, sich an irgendein geheimnisvolles historisches Detail zu erinnern. Sie antwortete ihrer Tochter leise, schnell und lange. Dann machte Lila eine kurze Pause, während sie sich die Übersetzung zurechtlegte, und sagte: »Nein, wir haben keine Truppen nach Vietnam entsandt, weil wir zuversichtlich waren, dass unsere Brüder in der Sozialistischen Republik ihre Aufgabe allein würden erfüllen können. Was sie, wie meine Mutter sagt, allem Anschein nach toll geschafft haben. Kleine Männer in Pyjamas haben die große grüne Maschine besiegt.«
Swetlana Hoth lächelte und nickte.
Ich sagte: »Genau wie eine Bande von Ziegenhirten sie in den Hintern getreten hat.«
»Zweifellos. Aber mit viel Unterstützung.«
»Auf keinen Fall.«
»Aber Sie werden zugeben, dass materielle Hilfe geleistet wurde. An die Mudschaheddin. Mit Geld und Waffen. Vor allem mit tragbaren Fla-Raketen und dergleichen.«
»Wie in Vietnam, nur andersherum.«
»Und Vietnam ist ein ausgezeichnetes Beispiel. Denn wissen Sie bestimmt, wo die Vereinigten Staaten jemals Hilfe durch Waffenlieferungen geleistet haben, ohne ihre sogenannten Militärberater zu entsenden?«
Ich gab keine Antwort.
Lila fragte: »In wie vielen Ländern haben beispielsweise Sie Dienst getan?«
Ich schwieg.
Sie fragte: »Wann sind Sie in die Army eingetreten?«
»1984«, antwortete ich.
»Dann haben diese Ereignisse aus den Jahren 1982 und 1983 alle vor Ihrer Zeit stattgefunden.«
»Aber nur knapp«, entgegnete ich. »Und es gibt etwas wie ein institutionelles Gedächtnis.«
»Falsch«, widersprach. »Geheimnisse sind gewahrt, institutionelle Erinnerungen praktischerweise gelöscht worden. Illegale amerikanische Militäreinsätze in aller Welt haben eine lange Tradition. Vor allem in Mr Reagans Amtszeit hat es viele gegeben.«
»Haben Sie das in der Oberschule gelernt?«
»Ja, das habe ich. Und bedenken Sie, dass die Kommunisten längst entmachtet waren, bevor ich in die Oberschule gekommen bin. Was übrigens auch Mr Reagan zu verdanken war.«
Ich sagte: »Selbst wenn Sie recht hätten – wieso sollte der nächtliche Überfall dann von Amerikanern verübt worden sein? Wie kommen Sie darauf, dass Ihr Vater und Ihr Onkel nicht direkt von Mudschaheddin gefangen genommen worden sind?«
»Weil ihr Gewehr nie gefunden wurde. Und weil die Stellung meiner Mutter nie nachts von einem Scharfschützen beschossen wurde. Mein Vater hatte ein Magazin mit zwanzig Schuss und ein volles Reservemagazin. Hätten die Mudschaheddin ihn direkt gefangen genommen, hätten sie sein Gewehr gegen uns eingesetzt. Sie hätten vierzig unserer Männer erschossen oder es versucht, und dann wäre ihnen die Munition ausgegangen, und sie hätten das Gewehr weggeworfen. Die Kompanie meiner Mutter hätte es irgendwann gefunden. Der Kampf hat ständig vor und zurück gewogt. Wir haben die gegnerischen Stellungen überrannt, dann sind wir wieder zurückgeworfen worden. Das war ein verrücktes Hin und Her. Die Mudschaheddin waren clever. Sie hatten die Angewohnheit, wieder Stellungen zu besetzen, die wir als verlassen abgeschrieben hatten. Aber im Lauf der Zeit haben unsere Soldaten alle ihre Stellungen gesehen. Sie hätten das VAL gefunden, leer geschossen und verrostet, vielleicht als Zaunpfahl zweckentfremdet. So haben sich alle erbeuteten Waffen wieder eingefunden – nur das VAL nicht. Die einzig logische Schlussfolgerung ist, dass Amerikaner es sofort in ihr Land mitgenommen haben.«
Ich schwieg.
Lila Hoth beteuerte: »Das ist die Wahrheit.«
Ich sagte: »Ich habe mal ein VAL Silent Sniper gesehen.«
»Das weiß ich bereits.«
»Ich habe es im Jahr 1994 gesehen«, fuhr ich fort. »Uns hat man gesagt, es sei vor Kurzem erbeutet worden. Volle elf Jahre nach den von Ihnen geschilderten angeblichen Ereignissen. Seine enormen Schussleistungen haben eine gewaltige Panik ausgelöst. Die Army würde nicht elf Jahre warten, um in Panik zu geraten.«
»Doch, das hätte sie getan«, sagte Lila. »Das frisch erbeutete Gewehr sofort vorzustellen hätte den Dritten Weltkrieg auslösen können. Es wäre das Eingeständnis gewesen, dass Ihre Soldaten ohne Kriegserklärung direkt gegen unsere kämpfen. Zumindest illegal und geopolitisch eine völlige Katastrophe. Amerika hätte seine moralische Überlegenheit eingebüßt. Die Sowjetbürger wären enger zusammengerückt. Der Sturz des Kommunismus wäre hinausgezögert worden – vielleicht
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