Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
verliehen. Normalerweise erhalten sie politisch willfährige Offiziere vom Brigadegeneral aufwärts. Meine Mutter hatte den Auftrag, alle DSM -Träger sofort an die Wand zu stellen. Unterhalb der Generalsränge wird dieser Orden sehr selten verliehen. Aber er ist die einzige hohe Auszeichnung, die ein Hauptmann der Deltas sich in jener Nacht im Korengaltal hätte verdienen können.«
Ich nickte, weil ich ihr zustimmte. Swetlana Hoth schien eine clevere Analytikerin zu sein. Sie war offenbar gut ausgebildet, gut informiert worden. Der KGB hatte anständige Arbeit geleistet. Ich sagte: »Also haben Sie sich auf die Suche nach einem Kerl namens John gemacht, der Hauptmann in der Delta Force war und mit der Distinguished Service Medal ausgezeichnet worden ist – beides im März 1983.«
Lila nickte. »Und damit alles passte, musste die DSM ohne Begründung verliehen worden sein.«
»Und Sie haben Susan Mark dazu veranlasst, Ihnen zu helfen.«
»Ich habe sie zu nichts veranlasst . Sie war von sich aus sehr hilfsbereit.«
»Weshalb?«
»Weil die Geschichte meiner Mutter sie sehr bewegt hat.«
Swetlana Hoth nickte und lächelte.
Lila sagte: »Und auch meine Geschichte hat sie betroffen gemacht. Ich bin vaterlos aufgewachsen – genau wie sie.«
Ich fragte: »Wie ist der Name John Sansom ins Gespräch gekommen, noch bevor Susan sich mit Suchergebnissen gemeldet hatte? Ich nehme Ihnen nicht ab, dass er von ein paar New Yorker Sicherheitsleuten, die Zeitung gelesen und Witze gerissen haben, ins Spiel gebracht worden ist.«
»Aufgrund einer sehr seltenen Kombination«, erwiderte Lila. »John, Delta, DSM , aber kein Einsternegeneral. Uns ist sie in der Herald Tribune aufgefallen, als seine Kandidatur für den Senat angekündigt wurde. Wir hielten uns in London auf, aber dieses Blatt gibt es weltweit überall zu kaufen. Es ist eine Version der New York Times . John Sansom könnte der einzige Mann in der Geschichte der US Army sein, der alle vier Kriterien erfüllt. Aber wir wollten ganz sichergehen, absolute Gewissheit haben.«
»Bevor Sie was tun? Was haben Sie mit dem Mann vor?«
Lila Hoth wirkte überrascht.
»Tun?«, fragte sie. »Wir wollen ihm nichts tun . Wir wollen nur mit ihm reden, das ist alles. Wir wollen ihn fragen, warum er das gemacht hat. Wieso er das zwei Mitmenschen angetan hat?«
38
Lila Hoth trank ihren Tee aus und stellte die Tasse auf die Untertasse zurück. Knochenporzellan klickte dezent auf Knochenporzellan. Sie fragte: »Gehen Sie jetzt, um mir Susans Informationen zu holen?«
Ich gab keine Antwort.
Sie sagte: »Meine Mutter hat lange gewartet.«
Ich fragte: »Weshalb?«
»Zeit, Chancen, Mittel, Gelegenheit. Vor allem Geld, nehme ich an. Ihre Horizonte waren bis vor Kurzem sehr eng.«
Ich fragte: »Wieso ist Ihr Mann ermordet worden?«
»Mein Mann?«
»Zu Hause in Moskau.«
Lila überlegte, dann sagte sie: »Das waren die Zeiten.«
»Wie bei dem Ehemann Ihrer Mutter.«
»Nein, das habe ich Ihnen schon erklärt. Hätte Sansom ihn mit einem Kopfschuss erledigt, wie mein Mann umgekommen ist, ihm das Genick gebrochen oder ihn sonst wie in Delta-Manier getötet, wäre das etwas anderes gewesen. Aber das hat er nicht getan. Stattdessen ist er grausam gewesen. Unmenschlich. Mein Vater konnte sich nicht mal zu seinem Gewehr hinüberwälzen, weil die Amerikaner es gestohlen hatten.«
Ich schwieg.
Sie sagte: »Wollen Sie einen solchen Mann in Ihrem Senat haben?«
»Im Gegensatz zu wem?«
»Überlassen Sie mir Susans Bestätigung?«
»Sinnlos«, sagte ich.
»Warum nicht?«
»Weil Sie nicht einmal in John Sansoms Nähe kämen. Sollte das wirklich so passiert sein, wie Sie’s erzählen, ist es geheim und wird noch sehr lange geheim bleiben. Und Geheimnisse werden geschützt, vor allem heutzutage. Mit dieser Sache sind schon zwei Bundesbehörden befasst. Drei Kerle haben hier im Hotel Fragen gestellt. Bestenfalls werden Sie ausgewiesen. Auf dem Weg zum Flughafen berühren Ihre Füße nicht einmal mehr den Boden. Sie werden mit Handschellen ins Flugzeug verfrachtet. In die Economyklasse. Jenseits des Atlantiks zerren die Briten Sie aus der Maschine, und dann werden Sie für den Rest Ihres Lebens überwacht.«
Swetlana Hoth starrte ins Leere.
Ich fuhr fort: »Und schlimmstenfalls verschwinden Sie. Gleich hier. Eben sind Sie noch auf der Straße, im nächsten Augenblick verschwunden. Anschließend verfaulen Sie in Guantánamo oder sind auf dem Flug nach Syrien oder Ägypten, um dort
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