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Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)

Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)

Titel: Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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verhedderte.
    Er drehte den Kopf zur Seite und schaute hinter mich. Dort war niemand mehr. Das Personal hatte sich nach links und rechts abgesetzt. Es war eingewiesen worden. Vielleicht hatte es das sogar geübt. Die sieben Männer vor mir hatten freies Schussfeld.
    Ich konnte weder vor noch zurück.
    Ich stand still.
    Der Chefagent zielte mit dem Lauf seines Narkosegewehrs auf meinen linken Oberschenkel, der ein relativ großes Ziel darstellte. Kein Fett unter der Haut. Nur festes Fleisch mit Adern, Äderchen und Kapillargefäßen. Völlig ungeschützt bis auf meine neue blaue Hose, die aus sommerlich dünnem Baumwollgewebe bestand. Kommen Sie nicht in diesen Klamotten, sonst lässt man Sie nicht rein . Ich spannte meine Muskeln an, als ließe sich so erreichen, dass das verdammte Ding abprallte. Dann entspannte ich mich wieder. Muskeltonus hatte dem Gorilla nichts genützt und würde auch mir nichts nützen. Hinter den sieben Männern konnte ich in einer dunklen Ecke mehrere Sanitäter ausmachen. In der Uniform der New Yorker Feuerwehr. Drei Männer, eine Frau, die dastanden und warteten. Sie hatten eine fahrbare Krankentrage dabei.
    Versagt alles andere, hilft nur noch reden.
    Ich sagte: »Ihr Jungs habt bestimmt noch Fragen. Ich bin gern bereit, mich für ein Gespräch hinzusetzen. Wir könnten Kaffee bestellen, damit alles gesittet bleibt. Entkoffeiniert, wenn euch das lieber ist. Weil’s schon spät ist. Für uns machen sie bestimmt frischen. Schließlich sind wir hier im Four Seasons.«
    Der Chefagent gab keine Antwort. Stattdessen schoss er auf mich. Mit dem Narkosegewehr, aus ungefähr zweieinhalb Metern, direkt ins Fleisch meines Oberschenkels. Ich hörte das Zischen, mit dem komprimiertes Gas sich entspannte, und spürte Schmerzen im Bein. Kein Stechen. Einen dumpfen, betäubenden Schlag wie von einen Messerstich. Dann eine Zehntelsekunde lang gar nichts, als könnte ich nicht glauben, was passiert war. Dann eine scharfe, zornige Reaktion. Wäre ich ein Gorilla gewesen, hätte ich die verdammten Forscher aufgefordert, zu Hause zu bleiben und mich in Ruhe zu lassen.
    Der Chefagent ließ das Narkosegewehr sinken.
    Eine Sekunde lang geschah nichts. Dann spürte ich, wie mein Herz zu jagen begann, während mein Blutdruck steil anstieg, um sofort wieder abzufallen. Ich hörte ein Rauschen in den Ohren. Als ich nach unten sah, steckte der Pfeil bis zur Befiederung in meinem Oberschenkel. Ich zog ihn heraus. Der Schaft war blutig, die Pfeilspitze jedoch verschwunden. Das Keramikmaterial hatte sich pulverisiert, und das darin eingelagerte Narkotikum befand sich in meinem Körper, in dem es bereits zu wirken begann. Ein dicker Tropfen Blut quoll aus der Wunde, versickerte im Baumwollgewebe der Hose und folgte Kette und Schuss, wie sich eine Epidemie durch die Straßen einer Stadt ausbreitet. Mein Herz hämmerte. Ich konnte spüren, wie es das Blut durch meinen Körper pumpte. Am liebsten hätte ich es angehalten, aber das ging natürlich nicht.
    Ich lehnte mich an die Empfangstheke. Nur vorübergehend, dachte ich. Um mich etwas zu erholen. Die sieben Männer vor mir schienen auf einmal seitlich wegzugleiten. Ich wusste nicht, ob sie sich bewegten oder ob ich den Kopf bewegte. Oder vielleicht hatte sich der Raum bewegt. Jedenfalls schien sich alles Mögliche schnell zu drehen. Ich kam mir wie ein Kreisel vor. Der Thekenrand traf mich unter den Schulterblättern. Also kam er hoch – oder ich sackte zusammen. Ich stemmte beide Hände flach auf die polierte Oberfläche. Ich versuchte, die Theke zu stabilisieren. Oder mich. Erfolglos. Ihr Rand traf meinen Hinterkopf. Meine innere Uhr funktionierte nicht mehr richtig. Ich versuchte Sekunden zu zählen. Ich wollte bis neun kommen. Ich wollte länger durchhalten als der Gorilla. Irgendein letzter Rest Stolz. Aber ich wusste nicht, ob mir das gelang.
    Mein Hintern plumpste auf den Fußboden. Ich konnte nichts mehr sehen. Aber mir wurde nicht dunkel oder schwarz vor den Augen. Stattdessen war alles gleißend hell. Mein Kopf war voll mit wie verrückt wirbelnden silbernen Formen, die von rechts nach links waagrecht an mir vorbeirasten. Wie ein tausendfach zu schnelles Jahrmarktskarussell. Dann begann eine erschreckende Folge wüster Träume, voller Action und Farbe. Später wurde mir klar, dass das Einsetzen dieser Träume den Augenblick markierte, in dem ich in der Halle des Four Seasons auf dem Boden liegend das Bewusstsein verlor.

43
     
    Wann ich aufwachte, weiß ich

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