Underground
als ich wieder auftauchte. Er starrte mich an. »Wo warst du?«
»Nicht weit. Nur weit genug, um das hier zu entdecken«, sagte ich und zeigte auf das Loch. »Möchtest du sehen, was sich am anderen Ende des Tunnels befindet?«
»Ja und nein. Irgendwie sieht es ziemlich unheimlich aus.«
»Ich kann auch nicht behaupten, dass ich darauf brenne, da hinunterzusteigen. Aber Lass meinte, dass er da unten eine Schlange gesehen hätte, und die Tarnung besteht aus dem gleichen Material, das ich bereits im Zugtunnel entdeckt habe.«
Quinton setzte seinen Hut ab, rollte ihn zusammen und steckte ihn in die Tasche. Dann begann er in das Loch zu klettern.
»Hey«, flüsterte ich. Der Ort wirkte bedrückend. Allein die Vorstellung, die Mauer anfassen zu müssen, ängstigte mich ein wenig. Ich wollte außerdem nicht, dass meinem Begleiter etwas zustieß. »Ich kann in dieser Welt besser sehen. Ich sollte vorangehen.« Ich wollte zwar nicht als Erste in den Tunnel, aber es blieb mir nichts anderes übrig. Falls am anderen Ende ein übernatürliches Wesen auf uns wartete, hatte ich bessere Chancen, es zu sehen, als Quinton.
Ich kroch also als Erste in das Loch, wobei sich sowohl meine Schulter als auch mein Knie empört meldeten. Mit einem tiefen Atemzug robbte ich auf den silberfarbenen Glanz am Ende des Tunnels zu. Ich spürte, wie mich die Schwaden des Grau berührten, während ich Quinton deutlich hinter mir atmen hörte.
Der grob angefertigte Tunnel war für uns beide breit genug, um mühelos hindurchzukommen. Aber die düstere Feuchtigkeit und der Geruch nach Brackwasser gaben unserem
Abenteuer einen besonders unheimlichen Anstrich. Wir schienen durch die Eingeweide der Erde zu kriechen. Ich hörte das sanfte Schlagen des Wassers, das vor uns lag. Ein Echo erfüllte immer wieder den Tunnel, als ob wir uns einem unterirdischen Schwimmbad näherten. Ein leises Stöhnen wie ein ferner Wind ertönte. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken, der nichts mit der Kälte zu tun hatte, die uns umgab.
Auf Kniehöhe konnte ich vor mir eine klare Linie erkennen. Es war nur ein winziger Teil grellgelber Energie, die sich aus der Schwärze des Tunnels im Grau abhob. Ich tastete mich mit einer Hand langsam vorwärts und prüfte vorsichtig den Boden aus Geröll, Schmutz und Betonbrocken. Endlich erreichte meine Hand eine glatte Oberfläche, die abrupt in einer scharfen Kante endete. Als ich nach unten griff, berührte ich eine weitere glatte Oberfläche und eine weitere Ebene … Stufen.
Mühsam rappelte ich mich auf, bis ich am Rand der ersten Stufe zu sitzen kam. Meine Stiefel berührten mit einem leisen Plätschern das Wasser.
Ich drehte mich zu Quinton um und flüsterte: »Da unten liegt ein Raum. Dem Echo nach ist er groß und der Boden mit Wasser bedeckt. Vielleicht bewegt sich dort etwas, aber ich bin mir noch nicht sicher.«
»Ich bin direkt hinter dir.«
Ich glitt nach unten, wobei ich so vorsichtig wie möglich meine Füße auf den glitschigen Boden setzte. Zu meiner Überraschung stand das Wasser so hoch, dass es oben in meine Stiefel floss. Irgendetwas gab ein Geräusch von sich und verschwand dann zu meiner Rechten. Als ich in die Tiefen des Grau blickte, schien sich der Raum durch Geister und flackernde Energiefäden zu erhellen.
Der Boden unter dem Wasser zeigte wundersame, geometrische Muster aus buntem Marmor und Steinen. Die Wände waren aus weißem Marmor, der mit rosafarbenen und goldenen Adern durchzogen war. Es war mehr als ein Raum. Es handelte sich vielmehr um zahlreiche Zimmer und Korridore, von denen überall glänzende Holztüren abgingen. Die Überreste eines alten Eichenstuhls schaukelten leicht im tieferen Wasser auf der anderen Seite des Raums. Das Wesen, das vorher Laute von sich gegeben hatte, taumelte plötzlich auf mich zu, und ich stieß vor Schreck einen leisen Schrei aus.
Es war ein Zombie. Bevor er näher kommen konnte, schaute ich mich hastig um. Ich wollte sehen, ob sich Sisiutl in der Nähe aufhielt, aber die Wasseroberfläche lag ruhig da. Eine Seeschlange zeigte sich nirgendwo. Also hastete ich weiter ins Wasser, bis es mir zu den Schenkeln stand. Auch wenn ich mich ekelte, blieb mir nichts anderes übrig, als unter die Oberfläche des abgestanden riechenden Sees zu tauchen.
Ich sah undeutlich, dass der Marmorboden hier zum großen Teil verschwunden war. Offensichtlich konnte das Wasser bei Flut durch die Risse eindringen, die sich über die Jahre hinweg gebildet haben mussten.
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