Underground
kommen, ehe ich mich völlig verkühlte. Allerdings schien die Feder plötzlich nicht mehr zu funktionieren. Mein Herz pochte wild, und ich begann trotz der Kälte zu schwitzen.
Falls uns irgendwelche Götter zusahen, konnte ich nur hoffen, dass sie auf unserer Seite waren. Verzweifelt drehte ich die Feder um. Ich hoffte, dass sie auch so magische Fähigkeiten aufwies. Hastig fuhr ich mit dem Kiel über Felix’ zusammengesackte Gestalt, bis die winzigen Risse in der Spitze einen dünnen gelben Energiestrang aufnahmen. Ich unterdrückte die aufsteigende Panik und zog den Strang zu mir heran. Eine Schlinge aus Energie löste sich aus dem Körper. Ich fuhr mit dem kleinen Finger meiner freien Hand hinein. Dann zog ich langsam daran, um den Knoten im Inneren des Zombies zu entwirren.
Der Strang löste sich. Für einen Moment wankte ich gefährlich, als die heiße gelbe Knotensträhne aus Felix’ gefangenem Geist mit rasender Geschwindigkeit seinen Körper verließ. Es gab einen seltsam dumpfen Knall, und dann fiel die Leiche wie knochenlos und schlaff zu Boden.
Ein weißer Strahl schoss aus ihr heraus und tauchte den Raum für einen Moment in ein gedämpftes Licht.
Das Rauschen hörte auf, und etwas zischte. Dann ertönte ein lautes Brüllen. Ein Geräusch wie ein Hagelsturm aus Schuppen, die auf Steine prasselten, erhob sich.
Ich warf einen letzten Blick auf den Verwesenden zu
meinen Füßen. Felix war nun endgültig gestorben und verschwunden. Zurück blieb nur tote Materie. Felix hatte seinen Körper für immer verlassen.
Quinton packte mich am Ellenbogen und riss mich hoch. Mein Knie protestierte mit einem Knirschen, das ich in allen Gliedern spürte.
»Los!«, brüllte er und zerrte mich zu dem Loch in der Wand, durch das wir hereingekommen waren.
Ein riesiger Kopf mit zwei Hörnern wie bei einer japanischen Kriegermaske schob sich durch die Öffnung. Er brüllte und züngelte mit seiner gespaltenen Zunge, die so lang war wie ich groß. Das schreckliche Geräusch erschütterte mich bis ins Mark. Wir wichen angsterfüllt zurück. Adrenalin begann nun mein träge gewordenes Blut wieder aufzuheizen.
»Andere Seite!«, rief ich und riss Quinton in einem rechten Winkel zu dem Monsterkopf zur Seite. Der Kopf schob sich immer weiter in den Raum hinein. Der Hals, auf dem er saß, war so dick und struppig wie der Stamm einer uralten Zeder. Ein Maul voll scharf aussehender Zähne schnappte nach uns, erwischte jedoch nur noch Luft.
Wir rannten durch die unterirdischen Toiletten und versuchten dabei, das tiefe Wasser am westlichen Ende zu vermeiden. Doch jede Tür, die früher einmal von hier aus ins Freie geführt hatte, war schon vor langer Zeit unter Tonnen von Zement begraben worden. Schon bald wussten wir nicht mehr, wohin.
»Es gibt keinen anderen Ausgang!«, brüllte Quinton verzweifelt.
»Wir können nicht raus, solange das Monster im Tunnel ist. Versuchen wir also, ihm auszuweichen. Sobald der
Tunnel frei ist, stürzen wir uns darauf«, antwortete ich keuchend und zog ihn mit mir in eine marmorne Toilettenkabine.
Das tosende Geräusch, das die Kreatur von sich gab, als sie in den Raum glitt, wurde schwächer. Wir konnten deutlich das Spritzen von Wasser in der Nähe von Felix’ Leiche hören. Dann brüllte das Monster etwas auf Lushootseed, was ich nicht verstand. Vorsichtig spähten wir aus der Kabine.
Am anderen Ende des Raums schlängelte sich Sisiutl durch das Wasser. Er schimmerte im Grau und musste etwa neun Meter lang und dicker als die Totempfähle drau ßen sein. Seine Gestalt verwandelte sich ständig von einem Schlangenwesen in ein anderes. Einmal glich er Medusas Schlangenhaaren, ein anderes Mal sah er wie aus ein Drache und dann wieder wie ein Zerberus mit drei gewaltigen Köpfen auf schlangenartigen Hälsen.
Plötzlich bewegte er sich ruckartig, stieß einen zischenden Laut aus, und ein monströser Schlangenkopf tauchte mit einem lauten Spritzen aus dem Wasser auf. Er sah in unsere Richtung. Seine geschwungenen Hörner und das von Rillen durchzogene Gewebe hinter seinem Kiefer waren klar zu erkennen. Die gespaltene Zunge, die uns zuvor beinahe berührt hatte, kam wieder herausgeschossen, und die Schlange zischte. Ein weiterer sich ständig verwandelnder Schlangenkopf erhob sich aus dem Wasser. Die riesige Kreatur nahm eine feste Schlangengestalt an – eine Gestalt, die sich in beiden Welten zugleich aufhielt. Dann ringelte sie sich in ein W. Eine dröhnende Stimme erfüllte den Raum.
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