Underground
meinte.
Es dauerte eine Weile, bis alles verteilt war und jeder es sich bequem gemacht hatte. Bens russisches Teezeremoniell wirkte beinahe so kompliziert wie ein japanisches. Endlich hatten Quinton und ich seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Ich legte meine Hände um das heiße Glas mit seinem Metallhenkel und bemerkte, wie zerkratzt meine Haut von der Nacht zuvor war. Die Erinnerung an die Angst schien nun seltsam fern zu sein, auch wenn seitdem erst wenige Stunden vergangen waren. Ich nippte an meinem Tee und sinnierte vor mich hin, bis Quinton mir einen fragenden Blick zuwarf.
Ich lächelte ihn an und stellte fest, dass auch Ben mich beobachtete. Er wirkte neugierig.
»Also gut. Es ging um die Obdachlosen«, begann er auffordernd.
»Genau«, sagte ich. »Außer den Toten gibt es einige Vermisste. Alle scheinen demselben Wesen zum Opfer gefallen zu sein. Sie wurden von einem mythischen indianischen Monster getötet, das außerdem in der Lage ist, Zombies zu erschaffen.« Ben tendierte dazu, oft stundenlang ohne Unterlass zu reden, weshalb ich es für das Beste hielt, gleich in medias res zu gehen, um ihm keine Chance zu lassen, weit auszuholen oder komplizierte Fragen zu stellen.
Sein Gesicht leuchtete auf. »Wirklich? Ein indianisches Sagenmonster?« Dann schüttelte er sich und schien zu realisieren, was ich gerade gesagt hatte. »Oh, mein Gott. Das ist ja schrecklich!«
»Da ist noch mehr«, erklärte ich. »Dieses Monster Sisiutl scheint im Auftrag eines Menschen zu handeln. Zumindest teilweise. Wir müssen sowohl das Ungeheuer als auch den Drahtzieher erwischen und beiden das Handwerk legen. Wir sind hier, weil wir letzte Nacht Sistu – wir benutzen lieber diesen Namen, weil es uns sicherer erscheint -, weil wir also letzte Nacht Sistu begegnet sind und dabei festgestellt haben, dass er ein Kauderwelsch aus verschiedensten Sprachen spricht. Ich glaube, dass wir viel besser mit ihm zurechtkämen, wenn wir mit ihm kommunizieren könnten. Er ist klug genug, dass man mit ihm ein Abkommen vereinbaren und ihm im Austausch für Futter Aufträge erteilen kann. Wenn wir also mit ihm reden könnten, gäbe es wahrscheinlich die Möglichkeit, ihm etwas vorzuschlagen – falls er uns nicht frisst. Außerdem scheint er in der Lage zu sein, seine Gestalt scheinbar zu verwandeln. Ich bin mir nicht sicher, wie er das bewerkstelligt, und wäre das nächste Mal gerne besser informiert. Also dachte ich
mir, dass wir dich fragen könnten, ob du irgendeine Idee hast.«
Ben schimmerte golden vor Begeisterung. »Ihr habt beide das Monster gesehen?«
»Nicht nur wir. Viele Leute haben es gesehen, die allerdings nicht wissen, was es war, oder die danach gestorben sind«, erwiderte ich.
Bei der nächsten Frage wirkte Ben etwas weniger enthusiastisch. Zumindest gab er sich Mühe. »Wie sieht es aus? Und in welchen Gestalten taucht es auf?«
»Es handelt sich um eine Seeschlange. Ein bisschen wie eine schuppige Schlange mit einem Kopf an jedem Ende und einem menschlichen Gesicht in der Mitte. Dieses Gesicht redet, während die Schlangenenden zischen und bei ßen. Sistu zeigt sich in verschiedenen Gestalten. Ich habe das antike Ouroboros, ein Gorgonenhaupt, einen vielköpfigen Hund mit schlangenartigen Hälsen für jeden Kopf, einen Drachen und eine Art Schlange mit Händen gesehen. Übrigens scheint seine ursprüngliche Gestalt neben dem menschlichen Gesicht und Hörnern auch Klauenhände zu besitzen. Manchmal ist Sistu Wächter des Hauses, durch das man zu den Göttern gelangt. Und manchmal hilft er Jägern und Kriegern. Zudem ist er ziemlich verschlagen und meist sehr hungrig.«
Für einen Moment glaubte ich, Ben würde vor Begeisterung einen kleinen Tanz aufführen. Endlich durfte er sich wieder mit seinem Lieblingsthema beschäftigen, dem Übernatürlichen. »Lass mich nachdenken«, murmelte er und schob einige seiner Bücher und Papiere beiseite. Er suchte einen Füller, mit dem er rasch auf der Rückseite eines Blocks ein paar Notizen machte. Die Blätter des Blocks waren bereits dicht vollgeschrieben. »Wiederholung
des Schlangenthemas... Wächter... Krieger... Helfer … Hungrig … Vielköpfig … Oh, Mann! Es ist das universelle Monster!«
»Das was?«, fragten Quinton und ich wie aus einem Mund.
»Nun, ihr kennt doch sicher euren Campbell, nicht wahr? Seine Ideen über den Monomythos, die universell gültigen Grundmuster in Mythen und Religionen, und seine Vorstellung vom Heros?«
Wir nickten. Es war ziemlich
Weitere Kostenlose Bücher