Underground
schwer für einen amerikanischen Studenten, im College Joseph Campbells Der Heros in tausend Gestalten zu entgehen.
»Gut … Nun, er hat natürlich etwas übertrieben, und die meisten vergessen, dass er auf wichtige Vorläufer zurückgegriffen hat wie James Joyce, Mann, Frobenius oder Spengler. Aber seine Vorstellung an sich ist einleuchtend. Er geht von universellen oder zumindest weit verbreiteten und sich wiederholenden Grundmustern in Mythen aus. Was euch begegnet ist, kann da als gutes Beispiel dienen. Der Wächter, der Schlangengott, der Helfer und der Schlächter von Kriegern. Diese Gestalten tauchen immer wieder in Mythen aus aller Welt auf. Ich nehme deshalb an, dass Sistus Formen das widerspiegeln, als was er in den verschiedenen Kulturen gesehen wird. Gleichzeitig kann er offenbar die Sprachen all dieser Kulturen, die er quasi anzitiert.«
»Ich habe ihn aber nur in einer Gestalt gesehen, und zwar als zweiköpfige Schlange mit dem Gesicht in der Mitte«, warf Quinton ein.
»Wirklich?« Ben wirkte überrascht. »Und was glauben Sie? Warum haben Sie ihn nur in dieser einen Gestalt gesehen?«
Quinton zuckte mit den Achseln. »Das war die Gestalt, die ich erwartet habe. Harper ist diejenige, die magische Dinge sieht. Ich erkenne nur das, was sich an der Oberfläche zeigt.«
»Wussten Sie denn, was Sie sehen würden, bevor Sie Sistu begegnet sind?«, hakte Ben nach.
»Ja«, erwiderte Quinton. »Uns wurde vorher von einer alten Indianerin genau erklärt, wie Sistu aussieht und was er ist.«
Ben lächelte zufrieden. »Offenbar erfüllt die Gestalt des Ungeheuers also die Erwartungen der jeweiligen Betrachter. Harper sieht natürlich seine vielen Gestalten, denn sie kann ins Grau blicken. Dadurch sieht sie alles. Wunderbar! Daran hatte ich noch gar nicht gedacht.«
»Es mag zwar wunderbar klingen, aber aus der Nähe ist das Monster ziemlich bedrohlich«, gab ich zu bedenken. »Sistu ist riesig und hat mit seinen drei Köpfen sehr viele Zähne. Falls wir ihm nochmal begegnen sollten – und das müssen wir, wenn wir ihm das Handwerk legen wollen -, müssen wir ihn davon abhalten, uns zu fressen. Sistu versteht Englisch, und ich habe auch ein paar englische Fetzen gehört. Aber meistens spuckt er Worte in Dutzenden von Sprachen aus, und zwar mehr oder weniger gleichzeitig, sodass man ihn kaum verstehen kann.«
»Ich bin mir sicher, dass er sich auf eine Sprache festlegen würde, wenn ihr seine Aufmerksamkeit erregen könntet«, meinte Ben.
»Das ist aber ziemlich schwierig«, widersprach ich. »Seine Ursprungsform scheint die der indianischen Sagengestalt zu sein – also eine dreiköpfige Seeschlange. Und diese Version spricht kein Englisch. Ich glaube auch nicht, dass eine seiner Gestalten ursprünglich englischsprachig gewesen
ist. Es sei denn, er entpuppt sich plötzlich als ein etwas ungewöhnlicher Grendel.«
Ben schüttelte den Kopf. »Nein, Grendel ist nicht so archetypisch, und außerdem hätte er Altenglisch gesprochen und nicht unsere moderne Version.«
»Nun …« Ich zögerte, ihm meine nächste Frage zu stellen, da ich das Gefühl hatte, es mir bereits mit einem Mitglied der Danziger-Familie verdorben zu haben. »Würdest du uns vielleicht begleiten, um mit Sistu zu sprechen? Einmal angenommen, dass wir ihn überhaupt fassen. Wir müssen herausfinden, woher er kommt und wer ihn augenblicklich kontrolliert. Irgendwo muss es auch noch eine Riesin geben, die Sistu zurückrufen kann. Uns wäre es am liebsten, wenn wir die beiden für immer loswerden würden, um die Obdachlosen vor weiteren Anschlägen zu schützen.«
»Man kann natürlich weder Götter noch ihre Helfer zu etwas zwingen, was sie nicht tun wollen. Man kann ihnen nur Vorschläge machen und sie hoffentlich dazu bringen, freiwillig zu gehen«, sagte Ben. »Ihr werdet wahrscheinlich die Zustimmung dieser Riesin brauchen, um das Monster, nachdem ihr es von seinem augenblicklichen Herrn und Meister getrennt habt, zu ihr zurückzuschicken.«
»Leider wissen wir noch nicht, wer es kontrolliert«, erklärte Quinton. »Aber das können wir herausfinden. Jedenfalls müssen wir das Ungeheuer fassen, und vermutlich können wir ihm nicht einfach ein Seil um den Hals werfen und es in den Zoo zerren. Wir müssen es überzeugen.«
»Es gibt viele Legenden, in denen man von Verhandlungstaktiken erfährt. Man kann den Göttern nicht einfach ihre Macht entreißen, und man kann sie auch nicht töten. Ebenso wenig wie ihre Wächter. Falls es sich
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