Underground
Ich hatte Will bewusst aus meinen Gedanken verdrängt, und der Anblick der Box versetzte mir einen leichten Stich. Ich war zwar glücklich mit Quinton, würde aber wohl immer eine Schwäche für Will haben – trotz unseres abrupten Endes.
Während Chaos mit der Puzzle-Box spielte, fiel die zerzauste Fasanenfeder vom Regal. Sie segelte langsam zu Boden und landete mit dem Kiel zuerst auf der Kugel. Ein unwirkliches Klingelgeräusch ertönte, das Puzzle bewegte sich, und das Grau begann sich zu regen. Es gab einen Ton von sich, als ob eine luftdicht verschlossene Tür geöffnet worden wäre. Auf einmal konnte ich jede Faser in meinem Körper spüren. Die Feder schwebte weiter zu Boden, aber die Atemlosigkeit im Grau hielt an. Chaos sprang entsetzt zurück und fuchtelte mit seinen kleinen Klauen, ehe er nach einem Moment triumphal zu der Kugel zurückkehrte. Er schien irgendetwas Unsichtbares besiegt zu haben. Kurz darauf spielte er bereits wieder vergnügt mit dem Ball.
Ich beobachtete, wie im Grau etwas Glühendes über den Boden schwebte, und fragte mich, welche neue Hölle wohl bereits auf mich wartete.
NACHBEMERKUNG
I n diesem Buch bin ich lockerer als bisher mit den realen Vorgaben der Geografie von Seattle umgegangen. In Wahrheit ist der Untergrund fast überall abgeriegelt. Außer einigen Kanalarbeitern und den Mietern der Gebäude, die darüber errichtet wurden, darf normalerweise niemand den Untergrund betreten. Wenn man nicht an der Underground Tour teilnimmt oder in einen der Keller gelassen wird, kann man diese Stadt unter der Stadt nicht betreten, ohne ein Gesetz zu brechen. Doch die Vorstellung von einer Welt im Untergrund samt Monstern gefiel mir so gut, dass ich die realen Gegebenheiten ignorierte und mich einfach auf das Thema stürzte.
Trotzdem habe ich versucht, so viel wie möglich an der Realität auszurichten. Rick Boetel, der leitende Historiker von Bill Speidel’s Underground Tour, hat mir sehr bei der Geschichte Seattles und dem Lageplan der Gegend geholfen. Ich habe sowohl die Historie als auch die städtebaulichen Gegebenheiten des Untergrunds so realistisch wie möglich abgebildet. So stieg zum Beispiel das Wasser in den Toiletten bei Flut tatsächlich an, ehe man die Straßen nach oben verlegte. Es gab wirklich mehrere Todesfälle bei denen Leute von der Straße in die untere Ebene stürzten. Ein Schamane hat tatsächlich an der Ecke Yesler Way und
First Avenue unterirdisch indianische Geister exorziert. Und natürlich gab es in den düsteren Gängen unter den Straßen bis in die 1970er Jahre Prostitution, Verbrechen und Lasterhöhlen. Auch ein Roy Olmstead existierte (allerdings hoffentlich kein Albert Frye), der sowohl Polizist als auch Schmuggler war. Auch die Müllhalde in der Nähe der Kreuzung von Occidental Avenue und Royal Brougham wurde lange Zeit von den Anwohnern benutzt.
Ohne Ricks Hilfe wäre mein Vorhaben nie gelungen. Aber ich habe auch aus Büchern und von Webseiten Informationen zusammengetragen. Überraschenderweise stellte sich dabei Distant Corner von Jeffrey Karl Ochsner und Dennis Alan Anderson als besonders informativ heraus. Es handelt sich dabei um eine Architekturabhandlung der University of Washington Press über den Einfluss des Architekten H. H. Richardson (kein Verwandter!) auf den Wiederaufbau von Seattle nach dem großen Feuer. In diesem Buch findet man alle Gebäude im Detail erklärt. Man erfährt, wer sie wann und wo erbaut hat, woraus sie bestehen und welchem Zweck sie ursprünglich dienen sollten. Außerdem habe ich so auch erfahren, was früher an der Stelle bestimmter Gebäude gestanden hatte. In diesem Buch finden sich zudem zahlreiche Fotografien, Zeichnungen und Lagepläne, und man erfährt außerdem, was aus einigen der Häuser in späteren Jahren wurde. Hier lernte ich auch, welche Gebäude während des Wiederaufbaus zusammengestürzt sind und welche beim Erdbeben im Jahr 1949 zu Schaden kamen. Das Buch stellte sich übrigens auch als überraschend unterhaltsames Lesevergnügen heraus.
Nachdem ich mir ein Bild von der Geschichte und Geografie des Untergrunds gemacht hatte, brauchte ich nur
noch ein geeignetes Monster. Es ist schwieriger als man vielleicht annimmt, ein überzeugendes, menschenfressendes Ungeheuer zu finden, das sich außerdem seine Stoßzähne nicht bereits in einem halben Dutzend Fernsehserien, Filmen oder Romanreihen abgerieben hat. Nach mehreren erfolglosen Anläufen entschied ich mich schließlich für das
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