Underground
Wut darüber mischte, wie unser letztes Treffen geendet hatte, und ich hatte nicht vor, ihn bereits nach einigen wenigen Worten der Entschuldigung vom Haken zu lassen.
»Ich hatte gehofft«, fuhr er fort, »dass du vielleicht mit mir frühstückst. Ich bin momentan im Endolyne Joe.«
»Vorhin hat es auf dem Hügel geschneit«, sagte ich. »Und ich bin bereits im Büro. Ich habe eigentlich keine Lust, wieder über die Brücke nach Fauntleroy hinunterzufahren, wenn ich ehrlich bin.«
»Der Schnee ist hier nicht so wild, und außerdem kommen
dadurch weniger Leute. Wir hätten die Möglichkeit, in Ruhe zu reden.«
Ich runzelte die Stirn. Will bettelte, was ich von ihm nicht gewöhnt war und auch nicht sonderlich schätzte. Aber wir hatten noch einige Rechnungen offen, weshalb ich es für das Klügste hielt, die Gelegenheit zu nutzen – entweder um unsere Beziehung nochmal zu retten, oder um sie für immer zu beenden.
»Also gut. Ich muss noch ein paar Dinge erledigen und komme dann so schnell es geht.«
Einer der Gründe, warum ich meinen alten Rover so schätzte, waren sein Allrad-Antrieb und seine ziemlich robusten Reifen. Sie hätten mir zwar nicht viel geholfen, wenn ich wie eine Wahnsinnige gefahren wäre, aber das hatte ich auch nicht vor. Ich hatte schließlich bereits genügend SUVs im Graben landen sehen, weil sie nach dem Sturm und bei den vereisten Straßen nicht achtgaben.
Es gelang mir mühelos, die Strecke hinter mich zu bringen, obwohl ich zwischendurch über einige Eisflächen fuhr, die auf den ersten Blick so aussahen, als ob es sich nur um Schnee auf der Straße handeln würde. An den Stellen, wo der Fauntleroy Way die Küste entlang verläuft, um dann den Hügel hinaufzuführen, auf dem ich wohnte, gab es immer wieder schattige Abschnitte, die ziemlich gefährlich werden konnten. Zum Glück war der Parkplatz von Endolyne Joe’s tatsächlich fast leer, und auch im Café sa ßen nur wenige Gäste.
Offiziell heißt die Gegend Fauntleroy, aber das Viertel, das sich südlich der Fährenanlegestelle befindet, nennt man Endolyne, was wie »End o’ line« ausgesprochen wird. Hier endete bis in die fünfziger Jahre die Straßenbahnlinie,
die danach in der ganzen Stadt eingestellt wurde. Das Lokal hatte seinen Namen angeblich von einem berüchtigten Frauenhelden, der als Schaffner der Straßenbahn Endolyne Joe genannt wurde, aber ich war mir nicht sicher, ob ich dieser Geschichte Glauben schenken sollte.
Wieder einmal wartete Will an einem Tisch in einer warmen Ecke, während die wenigen anderen Gäste an der Theke saßen, wo sie nur ein paar Schritte von der blauweiß gekachelten Küche entfernt waren. Ich hatte zwar Hunger, aber keine Lust, in Wills Gegenwart etwas zu essen. Also bestellte ich einen Kaffee. Will fasste nach meinen Händen, und ich erlaubte ihm, sie zu nehmen, auch wenn ich ihm nicht entgegenkam. Bei unserer Berührung verspürte ich eine Kälte, die nichts mit dem Schnee vor dem Fenster zu tun hatte.
»Harper, es tut mir so leid. Ich habe mich unmöglich verhalten.«
»Ich weiß nicht … Auszuflippen scheint mir recht normal zu sein, wenn man bedenkt, was wir erlebt haben. Aber mich unter dem Viadukt einfach allein stehen zu lassen … Das war etwas anderes.« Erst als ich die Worte ausgesprochen hatte, wurde mir bewusst, wie wütend, traurig und enttäuscht ich war. Und wie wenig es mir ausmachte, wenn ich ihn nun meinerseits verletzte.
Will schüttelte den Kopf und sah mich betroffen an. »Ich weiß. Es war … Es war scheußlich von mir. Ich war so schockiert von dem, was ich zu sehen glaubte …«
Der Kellner kehrte mit zwei großen Bechern Kaffee und einem Stück Mokkakuchen für Will zurück. Ich entzog Will meine Hände und hielt mich an meinem Becher fest. Ein rascher Blick ins Grau zeigte mir, dass von den blauen Fasern, die ich an seinen Händen gesehen hatte, nichts
mehr zu erkennen war. Mein Unbehagen wurde deshalb allerdings nicht geringer.
»Was glaubst du denn, gesehen zu haben?«, fragte ich.
Er sah sich verunsichert um. Der Energieschimmer, der ihn umgab, nahm für einen Moment eine grüne Farbe an und verblasste dann. »Nicht so wichtig. Es hat sowieso nicht gestimmt.«
Ich hatte nicht die Geduld, diplomatisch zu sein. »Vielleicht hat es gestimmt. Vielleicht war das Ding, das du gesehen hast, tatsächlich ein Zombie, und vielleicht habe ich es tatsächlich erledigt. Vielleicht hast du dir gar nichts eingebildet.«
Will war wie vom Donner gerührt und
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