Underground
Weile dort unten sein Unwesen treibt. Eine Befragung der Lebenden hat nichts gebracht.« Ich holte tief Luft. »Deshalb will ich jetzt damit anfangen, die Toten zu befragen.«
»Du meinst … du meinst die Geister von Go-Kart und Jenny?«
»Nein, die scheinen nicht viele Spuren hinterlassen zu haben. Ich muss nach Geistern suchen, die über genügend eigenes Bewusstsein verfügen, um sprechen zu können, und die zu der Zeit, als die Morde stattfanden, in dieser Gegend waren. Irgendjemand muss dieses … dieses Ding doch gesehen haben.«
Ich wollte es mir zwar nicht angewöhnen, die Kreatur als etwas Bestimmtes zu sehen und mich dadurch möglicherweise neuen Erkenntnissen zu verschließen. Aber die Vorstellung einer riesigen, menschenfressenden Spinne erschreckte mich derart, dass ich das Ungeheuer lieber neutralisierte – zumindest sprachlich.
»Die meisten Vorfälle haben in der Gegend stattgefunden, die Fish als Lavabetten bezeichnete, also südlich von hier«, sagte ich und zeigte Richtung Yesler Way.
»Im Ziegelbruch.«
»Heißt so eigentlich die ganze Gegend? Ich hatte den Namen noch nie gehört, bis du und die anderen ihn erwähnt haben.«
»So bezeichnet man die Gegend, die südlich des Pioneer Square etwa einen Block breit parallel zur Occidental Avenue verläuft. Dort finden sich überall diese großen weißen Ziegelsteine, die man früher benutzt hat, um den Park und den Square zu pflastern. Unter diesen Ziegeln gibt es vieles zu entdecken.«
»Fish meinte, dass die meisten Todesfälle südlich des Yesler Way passiert seien. Wir sollten also vielleicht Pioneer Square erst einmal beiseitelassen und hierher zurückkommen, wenn weniger Leute da sind. Ich möchte nicht zu viele Zuschauer haben bei dem, was ich tue.«
Quinton sah in den Himmel hinauf. Es herrschte ein düsteres Licht, während der Schnee noch immer rieselte. »Dann sollten wir besser in einer der Gassen anfangen.«
Wir gingen um eine Ecke und bogen in die nächste Gasse ein, wo sich eine matschige Mischung aus Schnee, Müll und Urin angesammelt hatte. Ich strich vorsichtig mit der Hand über die Zeitschlieren, die sich in der Nähe der Gebäudewand aufschichteten, und spürte, wie die Jahre meine
Fingerspitzen berührten. Für einen Moment blieb ich stehen und betrachtete sie. Ich schob die Zeitsplitter beiseite, um genauer hinsehen zu können. Als Quinton ein Geräusch machte, drehte ich mich zu ihm um.
Er sah mich fragend an. »Was tust du da?«
»Weißt du noch? Ich habe dir doch gesagt, dass ich Zeitschichten sehen kann.«
»Ja.«
»An bestimmten Orten sind sie besonders dicht gelagert – fast wie beim Grand Canyon. Eine Schicht liegt auf der anderen, sodass ich besser eindringen kann. Meist befinden sie sich jedoch nicht an ihrem ursprünglichen Platz, weshalb ich möglicherweise nicht weit komme, sondern schon bald auf ein Hindernis stoße. Manchmal bricht die Zeit aber auch einfach ab.«
Er schüttelte den Kopf wie ein Hund, der von einem Floh geärgert wird. »Willst du damit sagen, dass du durch die Zeit reisen kannst?«
»Nein. Ich kann nur durch ein winziges Stück Zeit wandern, das irgendwie mit diesem Ort in Verbindung steht. Meist ist es eine Art von Aufzeichnung, eine feste Erinnerung dieses Ortes. Wenn ich Glück habe, stoße ich auf einen Geist, der genügend Bewusstsein hat, um mit mir zu sprechen. Aber die meisten bemerken nicht einmal, dass ich da bin. Ich möchte, dass du auf mich aufpasst und die Gegend im Auge behältst, damit ich niemandem einen Schrecken einjage oder aus Versehen gegen etwas stoße. Ich weiß nämlich nicht, was hier in der normalen Welt passiert, während ich dort drüben bin. Das letzte Mal, als ich so etwas versucht habe, war ich zwar nicht allzu besorgt, wie das auf andere wirken könnte, aber diesmal kann ich die Zeit nicht so gut erkennen, um die es geht.«
Quinton sah mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Okay … Und wenn ich dich nicht mehr sehen kann?«
»Finden wir es heraus«, schlug ich vor, schob eine der Zeitebenen beiseite und glitt darauf.
Ich trat seitlich in eine andere Version der Gasse. Vor mir standen zwei junge Männer, die knielange Hosen und Schiebermützen trugen. Sie achteten nicht auf mich, sondern rannten auf einmal los, schossen in einen der Türbögen und riefen den Geschäftsleuten, die sich in den Läden befanden, etwas zu, was ich nicht verstand. Ich folgte einem der beiden, als ich auf einmal hinter mir einen lauten Pfiff vernahm.
Als ich
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