Underground
weggeworfenem Müll. Währenddessen erzählte uns der Mann von der Geschichte des Untergrunds und wie dieser entstanden war.
Wir folgten ihm durch ein Loch in der Wand nach Norden. Dahinter befand sich ein Raum, der durch Scheinwerfer an der Decke hell erleuchtet wurde. In einer Ecke lehnten zerbrochene Möbel, Rohre, große Tonnen und andere seltsame Gegenstände. Wir bogen nach links ab und kamen in einen L-förmigen Raum mit einer Tür, die in ein Gebäude führte. Schwaches Licht fiel durch die Decke herein. Ein früher einmal bestimmt sehr auffallendes Schild aus blauem und weißem Emaille lehnte an der Wand. Man konnte nur noch das Wort SAM’S lesen. Unser Führer stellte sich in die Mitte des Raums und wartete darauf, dass wir uns um ihn versammelten.
Hier war es auf einmal wesentlich kälter als zuvor. Ich hatte das unangenehme Gefühl, als ob mir etwas über die Haut kriechen würde. Vorsichtig trat ich näher und lehnte mich mit dem Rücken an eine Steinwand in der Nähe der Tür. Doch das bedrohliche Gefühl ließ sich nicht abschütteln. Der Raum waberte nur so vor Grau. Immer wieder blitzten grellgelbe und blaue Energiefäden auf. Einen Grund für mein Unbehagen konnte ich jedoch nirgends entdecken.
»Wir befinden uns jetzt direkt unter der Ecke Yesler Way und First Avenue«, begann der Mann.
Das war also den Indianern zufolge der schlimmste Ort im Untergrund. Hier hatte der Schamane eine ganze Gruppe von Geistern verjagt. Vielleicht erklärte das die starke Energie und meine Unruhe.
»Sie befinden sich hier auf der ursprünglichen Straßenebene von Seattle. Von 1860 bis in die achtziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts war hier alles ein großes Watt. Wie ich Ihnen bereits oben erklärte, konnte es deshalb bei Flut ziemlich nass werden. Nach dem Feuer bot sich der Stadt die einzigartige Gelegenheit, die Straßen aufzustocken, um so dem Wasser zu entgehen. Dadurch wurde Downtown sicher und trocken und lief nicht immer Gefahr, von Müll und Abwässern überflutet zu werden. Doch das Anheben der Straßen war ein riesiges Unterfangen. Während des Feuers starb niemand, doch es gab einige Todesfälle beim Umbau der Stadt – vor allem auf den Bürgersteigen.«
Er zeigte auf das moderne Trottoir über uns. »Jahrelang lag das hier alles offen, während die Straßen oben verliefen. Die Leute, die in ein Haus hineinwollten, um etwas zu kaufen oder Geschäfte abzuwickeln, mussten an Leitern oder über Treppen am Ende der Blocks nach unten auf diese Ebene steigen. Manchmal traten sie daneben und stürzten in den Tod. Zur selben Zeit kamen zahlreiche Goldgräber auf dem Weg zum Klondike River nach Seattle. Ihre Ausrüstung, die sie oft in den Läden hier unten kauften, wurde oben auf den Straßen in Holzkisten oder Fässern gelagert. Manchmal fiel ein solches Fass nach unten auf den Bürgersteig und erschlug einen Fußgänger. Wie Sie sehen, war es in jenen Tagen also ein echtes Abenteuer, shoppen zu gehen.«
Er lächelte, und die Touristen lächelten ebenfalls. Dann
fuhr er fort: »Ich hoffe, dass keiner von Ihnen Angst vor Gespenstern hat. Diese Ecke hier gilt nämlich als der Ort, an dem es im Untergrund am meisten spukt. Aber keine Sorge – bisher haben wir noch nie einen unserer Besucher verloren. Auch wenn wir uns die größte Mühe gegeben haben.«
Einige aus der Gruppe sahen sich verunsichert an. Ich sagte nichts. Vermutlich wären sie noch wesentlich nervöser geworden, wenn ich ihnen erklärt hätte, dass sie bis zu den Schultern in einem Meer aus Phantomen steckten, seitdem sie ihre Wagen geparkt hatten.
Während der Mann uns etwas über die Bank erzählte, die sich ursprünglich in diesem Gebäude befunden hatte, sah ich mich beklommen im Grau um. Ich betrachtete die Formen und Schatten und vergaß für einen Moment beinahe, dass ich mich in einer Gruppe befand.
»Ich persönlich habe ihn nie gesehen«, fuhr der Führer fort. »Aber einige meiner Kollegen und eine Fernsehcrew behaupten, dass sie an diesem Ort den Geist eines jungen Mannes gesehen hätten. Angeblich soll er ein Bankangestellter gewesen sein, der in dieser Bank arbeitete. Es wird erzählt, dass er von einem Goldgräber bei einem Streit um eine Dame getötet wurde, deren Liebe käuflich war.«
Die Gruppe murmelte etwas, doch ich zuckte erschreckt zusammen. Etwas, das eindeutig weder ein toter noch ein lebendiger junger Mann war, zeigte sich in der eisigen Kälte. Die Energiefäden im Raum bildeten auf einmal ein
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