Underground
beliebt war, um Leichen zu entsorgen, wie der East River in New York«, meinte Quinton, während wir die Straße entlangliefen. »Man kann sie schließlich nicht in die Elliot Bay werfen, da sie sonst bei der nächsten
Flut wieder an Land gespült werden oder bei Ebbe im Watt stecken bleiben.«
Da mein Knie inzwischen angeschwollen und steif war, kam ich wesentlich langsamer voran als er. »Stimmt. Es sieht übrigens ganz so aus, als ob ziemlich viele Dinge durch die Flut wieder ans Tageslicht gekommen wären. In der Zeitung habe ich einen Gezeitenplan entdeckt, denn offenbar wurden die Abwasserkanäle jedes Mal geflutet, wenn das Wasser stieg. Man musste genau wissen, wann man die Toilettenspülung benutzen durfte und wann nicht. Ich bezweifle also auch, dass jemand etwas in der Bucht entsorgt hat, wenn er es nie wieder sehen wollte.«
Quinton blieb stehen, damit ich ihn einholen konnte. »Garantiert nicht. Kannst du dir vorstellen, wie peinlich es wäre, wenn Onkel Peter von seinem letzten, tödlich verlaufenen Angelausflug zurückkehrt und auf einmal eine auffällige Schusswunde im Kopf hat?«
Ich lächelte. »Wohl wahr. Findest du es nicht seltsam, dass sie die Straßen wegen der Toiletten angehoben haben? Ich frage mich, ob es unten in den alten Straßen noch immer nass wird, wenn die Flut steigt.«
»Nein, tut es nicht. Die Flutmauer schützt uns dort unten vor Elliot Bay. Zumindest meistens. Natürlich leckt sie an einigen Stellen. Aber die Gebäude haben alle Pumpen und Abwasserkanäle in ihren Kellern.«
»Ein weiteres Untergrundgeheimnis?«
»Nein, das ist nur ein städtisches Versorgungsproblem. Die Bürgersteige von Downtown, wie wir sie heute kennen, liegen etwa neun Meter oberhalb der alten. Damit die Abwasserkanäle Richtung Meer einen ausreichenden Fallwinkel aufweisen, müssen die Straßen weiter im Land so um die zwanzig Meter höher liegen. Vielleicht sogar mehr.«
»Eine eindrucksvolle Ingenieursleistung.«
Quinton schenkte mir ein verlegenes Grinsen. »Kann man so sagen.«
Ich lachte. »War das gerade ein Flirtversuch?«
»Ich halte mich nur an die Anweisungen. Bin ich so schlecht?«
»Nein, aber übertreibe es nicht«, warnte ich ihn und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
»Versprochen, Madam«, erwiderte er und unterdrückte ein Lachen. Er zwang sich zu einer ernsten Miene. »Also gut – zurück an die Arbeit. Dann wissen wir jetzt also, dass es in dieser Gegend mehrere Todesfälle mit ähnlichem Muster gab und dass der Täter – wie auch immer er aussehen mag – zu kommen und zu gehen scheint, wie es ihm beliebt.«
»Ich habe eher das Gefühl, dass unser Monster da unten gefangen ist«, entgegnete ich.
»Das glaube ich nicht. Es scheint überallhin zu gelangen, wo es will«, widersprach Quinton.
»Aber nur bis zu einem bestimmten Punkt. Es bewegt sich nicht weit vom Zentrum des Ziegelbruchs weg und hat es auch nie getan, soweit das die Weißen hier aufgezeichnet haben. Wir haben keine Ahnung, ob es sich tatsächlich um Sistu handelt. Aber das ist bisher das einzige Ungeheuer, das jemand namentlich genannt hat und das zudem zum Indianerkult gehört. Wie du sagst, ist das Phänomen offenbar auf diese Gegend beschränkt. Das Monster scheint immer dann aufzutauchen, wenn etwas im historischen Zentrum zerstört wird – in jener Gegend, die früher einmal Watt war und wohin die Indianer zum Fischen gingen. Wir wissen auch nicht, wann oder wie es das letzte Mal dazu gebracht wurde, wieder mit dem Morden aufzuhören.
Aber ganz offensichtlich scheint es eine Art Grenze zu geben, die es nicht überschreitet, oder es bekommt sich wieder in den Griff. Das Wesen scheint auf jeden Fall nicht einfach nur Amok zu laufen. Noch wissen wir nicht genug über die Geschichte des Untergrunds, um sagen zu können, was dort unten gemacht wurde oder wodurch das Ungeheuer aufgeschreckt wird.«
»Wir müssen die Tour mitmachen.«
»Welche Tour?«
»Die Untergrundtour. Ich glaube, wenn wir uns beeilen, schaffen wir heute noch die letzte.« Quinton fasste mich am Ellenbogen, um mir beim Gehen zu helfen, und begann dann eiligen Schrittes über die verschneite Straße zum Pioneer Square zu laufen. »Kannst du rennen? Komm schon. Vielleicht weiß der Historiker, der die Tour leitet, ja etwas, das uns weiterhelfen könnte.«
»Die Untergrundtour? Das ist doch nur eine Touristenfalle«, meinte ich und zuckte zusammen, weil mein Knie so schmerzte.
»Kann sein«, stimmte er zu. »Aber es geht um die
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