Underground
Gespenstergeschichten, die mit diesem Ort in Verbindung stehen?«
»Nein, offiziell nicht«, erwiderte er. »Allerdings gibt es viele Berichte von Leuten, die im Untergrund Gespenster gesehen haben wollen. Zahlreiche Besucher unserer Touren haben uns immer wieder erzählt, die Geister von Indianern bemerkt zu haben. Das war so verstörend und kam so häufig vor, dass man 1997, wenn ich mich recht erinnere, einen Schamanen kommen ließ, der den Ort von allem Bösen reinigte und die Geister wegschickte. Es muss funktioniert haben, denn seitdem ist es wesentlich ruhiger geworden.«
Der alte Mann, mit dem wir Samstagnacht gesprochen hatten, hatte also recht gehabt, was die Geister betraf,
sich aber im Datum geirrt. Ich fragte mich, was die indianischen Gespenster wohl hier unten gemacht hatten. Fish hatte mir erzählt, dass sich die Lebenden und Toten nie vermischten. Was hatte also die Geister dazu gebracht, zurückzubleiben? Und warum hatten sie sich offenbar mit einem Wiedergänger zusammengetan? Hatten sie etwas mit Sistu zu tun – falls das tatsächlich das Monster war, das wir jagten? Oder waren sie es vielleicht sogar gewesen, die es früher immer wieder davon abgehalten hatten, weiter zu morden?
Wir machten uns wieder auf den Weg und bogen um eine Ecke in den ehemaligen Tresorraum der Bank. Ich entdeckte keine weiteren Schattengestalten mehr, bis wir gemeinsam ein paar Stufen nach oben stiegen, um am heruntergekommenen Ende der Post Street wieder aufzutauchen.
Wir lauschten noch weiteren Geschichten über den Untergrund und folgten unserem Führer über die First Avenue, um dann die Straße hoch bis zu einem schmalen Gebäude zu laufen. Es handelte sich um den Yesler Way 115. Allerdings war es kein richtiges Gebäude mehr, sondern nur noch eine Tür, hinter der sich eine Treppe befand. Sie führte nach oben und nach unten. Wir stiegen wieder in den Untergrund hinab. Diesmal kamen wir in einem Haus heraus. Es handelte sich um einen früheren Kurzwarenhändler, der hier sein Geschäft gehabt hatte. Der Zementboden war so rissig und uneben, dass er wie eine kleine Kraterlandschaft aussah.
Der Historiker erklärte uns, dass die hübsch verzierten Wände vermuten ließen, dass es sich früher einmal um einen eleganten Laden gehandelt haben musste. »Dieses Gebäude besaß damals bestimmt einen schimmernden Parkettboden,
der sich wahrscheinlich noch immer unter dem Beton befindet. Der ganze Zement im Untergrund wurde 1907 ausgeschüttet, als die Pest ausbrach.« Die Gruppe gab ein verblüfftes »Oh!« von sich.
»Die Stadtverwaltung glaubte damals, dass das Versiegeln der Holzböden und der Bürgersteige die Ratten und ihre Freunde davon abhalten würde, durch die Fundamente nach oben vorzudringen«, fuhr der Mann fort. »Aber dabei vergaß man, dass die Gebäude alle auf geölten Zedernpfählen im Watt stehen und ein solcher Untergrund ziemlich instabil sein kann.«
Aber war er auch instabil genug, um ganze Gebäude zum Einsturz zu bringen und Monster darunter zu begraben?
»Die meisten Häuser sinken auch jetzt noch um einen guten halben Zentimeter pro Jahr. Das tun sie schon seit einiger Zeit. Dieses allmähliche Abrutschen erklärt auch die meisten unebenen Böden, schrägen Türstöcke und seltsamen Geräusche, die Sie vielleicht auf unserer Tour hören werden.«
Er erzählte uns etwas mehr über den Raum, in dem wir uns befanden. Unter anderem berichtete er, dass hier unten einige Filme gedreht worden waren – einschließlich der erste Night Strangler, der auf einer Fernsehserie basierte, die Night Stalker hieß und die ich als Kind gesehen hatte.
Endlich ließen wir das alte Geschäft hinter uns und gingen wieder nach draußen. Wir folgten unserem Mann an den Schaufenstern vorbei um die Ecke der Occidental Avenue bis zu einem dunklen Ort aus roten Ziegelarkaden und terracottafarbenen Mauern. Ein paar Scheinwerfer hingen hinter Gittern an den Wänden und warfen lange Schatten.
Auch hier wimmelte es nur so von Geistern. Es schienen im Untergrund noch mehr zu sein als oben auf der Straße an derselben Stelle.
»Wir befinden uns jetzt unter der Occidental Avenue. Als diese ursprünglich angelegt wurde, hieß sie Second Avenue. Sie können dort noch das alte Straßenschild sehen. Auch als die Bürgersteige über uns bereits fertig waren, benutzten viele noch die unterirdischen Trottoirs, um zum Beispiel dem Regen zu entkommen. Die Türen auf der unteren Ebene blieben noch bis 1910 geöffnet, als man den
Weitere Kostenlose Bücher