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Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)

Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)

Titel: Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Hand
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Blutergüsse und den Tränen nahe durch die Hintertür reinschleiche.
    «Hübsch», sagt er grinsend.
    «Halt die Klappe.»
    Er lacht. «Ich kann es auch nicht.»
    «Was kannst du auch nicht?»
    «Irgendwas tragen, wenn ich fliege. Es bringt mich aus dem Gleichgewicht.»
    Ich weiß nicht, ob ich mich jetzt freuen soll, dass Jeffrey es auch nicht kann, oder mich noch schlechter fühlen, weil er mich offensichtlich beobachtet hat.
    «Du hast versucht zu fliegen?», frage ich.
    «Ganz oft schon.» Er streckt die Hand aus und zieht einen Tannenzapfen aus meinem Haar. Sein Blick ist freundlich, voller Mitgefühl. Von allen Leuten, die ich kenne, ist Jeffrey der einzige Mensch, der wirklich versteht, was ich durchmache. Weil es ihm genauso geht – oder gehen wird, wenn er seine Aufgabe erhält.
    «Sollen wir …» Ich zögere und gucke in den Flur hinter ihm zu Mutters Arbeitszimmer. Er wirft einen Blick über die Schulter, dann schaut er mich neugierig an.
    «Was?»
    «Sollen wir es mal zusammen versuchen?»
    Einen Moment lang starrt er mich an. «Klar», sagt er schließlich. «Los, komm.»
    Hinterm Haus ist es so dunkel, dass ich jenseits des Rasens praktisch nichts erkenne.
    «Tagsüber wäre es viel einfacher», sage ich. «Allmählich nervt es mich total, nur nachts zu trainieren.»
    «Und wieso trainierst du dann nicht tagsüber?»
    «Ähm … weil mich jemand sehen könnte?»
    Er lächelt schelmisch. «Das ist doch egal», sagt er.
    «Wie das denn?»
    «Die Leute würden dich gar nicht sehen. Die gucken doch nie nach oben.»
    «Was? Das ist doch verrückt», sage ich und schüttele den Kopf.
    «Stimmt aber. Wenn sie dich überhaupt bemerken, werden sie denken, du wärst ein großer Vogel oder so was in der Art. Ein Pelikan.»
    «Du spinnst.» Aber sofort denke ich an den Tag, als ich über den Jenny Lake geflogen bin und sich meine Umrisse in einem Leuchten aus reinem Weiß, wie die Konturen eines Vogels, im Wasser spiegelten.
    «Da ist doch gar nichts dabei. Mama macht das andauernd.»
    «Wirklich?»
    «Sie fliegt meist morgens. Wenn die Sonne aufgeht.»
    «Wieso habe ich das nie bemerkt?»
    Er zuckt mit den Schultern. «Ich stehe früher auf als du.»
    «Ich fasse es nicht, dass ich davon nichts weiß!»
    «Du siehst, wir können tagsüber fliegen. Das Problem wäre gelöst. Und jetzt lass uns endlich mal machen, ja? Ich hab noch was anderes zu tun.»
    «Ja, klar. Na schön dann. Pass auf: Zeig dich!», rufe ich.
    Seine Flügel schießen hervor.
    «Was war das denn?», fragt er verblüfft.
    «Ein Trick, den ich von Angela gelernt habe.»
    Seine Flügel sind hellgrau, mehrere Farbnuancen dunkler als meine. Wahrscheinlich nichts, worüber man sich Sorgen machen muss. Mama hat gesagt, dass wir alle Flügel in verschiedenen Grautönen haben. Und seine Flügel sind nicht wirklich dunkel, sie sind eher … schmutzig.
    «Na ja, aber das nächste Mal sag vorher Bescheid, okay?» Jeffrey faltet seine Flügel ein wenig zusammen, macht sie kleiner, dann dreht er mir den Rücken zu und geht nach hinten zum Rasen, wo ich die Reisetasche gelassen habe. Mühelos nimmt er sie hoch und kommt zu mir zurück. Die Muskeln, die er vom Ringen hat, sind definitiv ein großer Vorteil.
    «Na gut, dann wollen wir mal.» Er hält mir die Tasche hin, und ich nehme einen der beiden Henkel. «Bei drei geht’s los.»
    Ich sehe uns schon vor mir, wie wir uns beim Abheben vom Boden gegenseitig die Köpfe einschlagen. Ich mache einen Schritt zurück und schaffe so viel Platz zwischen uns wie möglich, ohne die Tasche loszulassen – die ist im Übrigen gar nicht so schwer, jetzt, da Jeffrey die Hälfte des Gewichts trägt.
    «Eins», sagt er.
    «Warte, in welche Richtung wollen wir denn?»
    «Dahin.» Er neigt den Kopf zum nördlichen Ende unseres Grundstücks, wo sich die Bäume lichten.
    «Guter Plan.»
    «Zwei.»
    «Wie hoch?»
    «Das werden wir dann schon sehen», sagt er und klingt genervt.
    «Weißt du was? Du hörst dich allmählich an wie Papa. Ich glaube kaum, dass mir das gefällt.»
    «Drei!», ruft er, und dann geht er in die Knie, beugt die Flügel und schraubt sich hoch, während ich mir alle Mühe gebe, es ihm gleichzutun.
    Viel Zeit zum Überlegen haben wir nicht. Wir fliegen hoch und hoch und immer höher, und unsere Flügel schlagen im selben Rhythmus; die Reisetasche zwischen uns wackelt ein bisschen, aber so, dass wir sie halten können. Nach etwa zehn Sekunden sind wir über den Bäumen. Dann drehen wir uns Richtung

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