Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)
dass wir euch nicht ewig verstecken können. Wir wollten einfach, dass ihr möglichst lange ein möglichst menschliches Leben habt. Aber die Zeit ist jetzt vorbei.»
Es wird ganz still, während Jeffrey und ich diese Neuigkeit zu verdauen versuchen. Triplare. Dreiviertelengel. Doch nicht Quartarius. Und etwas von dem, was Papa sagte, brennt mir wie glühende Kohlen im Gehirn.
Mehr Engel als Mensch.
Papa ist also ein Engel. Was uns zu den totalen Außenseitern macht, sogar unter den Wesen mit Engelblut. Auf einmal wird mir klar, weshalb uns Mama bis zu diesem Jahr nicht mit zur Kongregation genommen hat. Sie hat uns versteckt, sogar vor den anderen Engelblutwesen. Sogar, wie Papa sagte, vor uns selbst.
Mama ist jetzt ruhiger, schläft viel. Es hat sie sehr angestrengt, uns die Geschichte zu erzählen, die sie so mühsam und so lange in sich vergraben hatte. Sie ist erschöpft, aber sichtlich glücklich in ihren wachen Momenten. «Unbelastet» ist wohl das richtige Wort. Als ob es sie befreit habe, uns die Wahrheit zu sagen.
Ich verbringe den Abend damit, Papa zu beobachten. Ich kann nicht anders. Manchmal wirkt er wie ein normaler Mensch, blödelt mit Billy herum, isst das Abendessen, das sie auf die Schnelle für uns gezaubert hat und das er sichtlich genießt. Was mich zu der Überlegung bringt, ob Engel Nahrung brauchen wie wir. Und dann wieder gibt es Momente, in denen er, ehrlich gesagt, wie ein Außerirdischer wirkt. Zum Beispiel, als er die Fernbedienung des Fernsehers benutzen will. Eine ganze Weile betrachtet er sie, als wäre sie irgendein neumodischer Zauberstab. Dann begreift er allerdings schnell, wie sie funktioniert, und schließlich gerät er total aus dem Häuschen vor lauter Verwunderung über das Kabelfernsehen.
«So viele Kanäle», meint er. «Als ich das letzte Mal ferngesehen habe, gab es nur vier. Wie entscheidet ihr, was ihr sehen wollt?»
Ich zucke mit den Schultern. Ich sehe nicht viel fern. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass Papa nicht der Typ ist, der gern die Show mit dem Bachelor guckt. «Jeffrey sieht immer ESPN.» Papa sieht mich verständnislos an. «Das ist ein Sportkanal.»
«Es gibt einen Kanal nur mit Sport?», fragt er ziemlich beeindruckt.
Es stellt sich heraus, dass Papa ein großer Baseballfan ist. Zu blöd, dass Jeffrey nicht bei uns sitzt und mit ihm fernsieht. Ich muss Papa immer wieder ansehen, kann nicht anders, als jede Bewegung, die er macht, genau zu verfolgen, aber Jeffrey erträgt seine Nähe nicht. Sobald der offizielle Teil unseres Familienpalavers beendet war, ist er in sein Zimmer gestürmt. Seit Stunden haben wir keinen Ton von ihm gehört, nicht mal die übliche Musik.
Ich versuche, seine Gefühle zu empfangen, was nicht allzu schwer ist. Seit Mamas Lehrstunde bin ich deutlich besser geworden im An- und Abschalten meines Einfühlungsvermögens. Ich sitze hier und spüre Papas kaum zurückgehaltenen himmlischen Glanz, und damit ist es lächerlich einfach, meine Achtsamkeit nach oben in Jeffreys Zimmer zu lenken.
Er ist wütend. Es ist ihm egal, wieso sie es getan haben. Er würde gern aufhören, wütend zu sein, aber er kann nicht. Sie haben ihn belogen und betrogen, alle beide. Ganz egal, wieso. Sie haben gelogen.
Er will nicht mehr nach ihren Regeln spielen. Er hat die Nase voll. Er hat die Nase voll davon, in einem kosmischen Spiel wie eine Schachfigur hin und her geschoben zu werden.
Das kann ich gut nachvollziehen. Zum Teil geht es mir ähnlich. Es ist nur so schwer, wütend zu sein, wenn Papa mit seiner schieren Freude hier sitzt und alles Dunkle und Schmerzliche aus meinem Kopf verdrängt. Was irgendwie unfair ist, da ich nicht fühlen darf, was ich eigentlich fühle. Vielleicht würde ich mich ja allein schon deshalb über ihn ärgern, wenn ich es nur könnte.
«Ich denke, ich wäre damit klargekommen», sage ich später zu Mama. Ich helfe ihr, vom Bad zurück zum Bett zu kommen. Es hat etwas Würdeloses, finde ich, dieser schlurfende Gang mit den winzigen Schritten, die sie jetzt macht, und die Tatsache, dass sie jetzt schon beim Pipimachen Hilfe braucht. Ihr gefällt das auch nicht. Sie macht dann immer ein ganz grimmiges Gesicht, als würde sie Gott weiß was dafür geben, wenn ich sie nicht so sehen müsste.
«Womit klargekommen?», fragt sie.
«Mit der Wahrheit. Dass Papa ein Engel ist. Dass wir Triplare sind. Damit eben. Wir hätten das Geheimnis bewahrt.»
«Ja, sicher», meint sie. «Du bist ja auch so gut im Bewahren von
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