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Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)

Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)

Titel: Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Hand
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überraschend für dich, jetzt, da du in der Lage bist, diese Dinge wahrzunehmen.»
    Das ist die Untertreibung des Jahres. Mein Mund fühlt sich trocken an, als stehe er eine ganze Weile schon offen.
    «Deine Mutter?», hilft er mir auf die Sprünge.
    Genau. Und ich stehe und starre ihn an. Ich gehe den Flur hinunter.
    «Kann ich dir was anbieten? Ein Glas Wasser oder Saft, einen Kaffee oder so?», plappere ich drauflos, als wir an der Küche vorbeikommen. Mir wird bewusst, dass ich ihn überhaupt nicht kenne. Ich kenne meinen Vater nicht gut genug, um zu wissen, was er gern trinkt.
    «Nein, danke», sagt er höflich. «Ich will nur zu deiner Mutter.»
    Wir kommen zu Mamas Tür. Ich klopfe an. Carolyn macht auf. Ihr Blick fällt gleich auf meinen Vater, und sofort entgleisen ihr vor lauter Verblüffung die Gesichtszüge, sie reißt die Augen so weit auf, dass sie fast wie eine Zeichentrickfigur aussieht.
    «Er … äh … er will Mama besuchen.»
    Rasch erholt sie sich, nickt, dann tritt sie beiseite, damit wir ins Zimmer können.
    Mama schläft, liegt da, von vielen Kissen gestützt, ihr langes rotbraunes Haar umrahmt ihr Gesicht, und ihr Gesicht ist bleich, aber friedlich. Papa setzt sich auf den Stuhl neben ihrem Bett und berührt eine Haarsträhne von ihr, die Strähne ganz vorn, die jetzt die Farbe von Silber hat. Dann nimmt er sacht ihre Hand. Umschließt sie mit seinen Händen.
    Sie regt sich, seufzt.
    «Tag ist wie Nacht zu sehn, eh ich dich sah, / Nacht heller Tag bringt dich der Traum mir nah» , flüstert Papa.
    Sie öffnet die Augen. «Michael.»
    «Hallo, meine Schöne.» Er hebt ihre Hand an seinen Mund und küsst sie, hält sie sich an die Wange.
    Ich weiß nicht, was ich erwartet habe für den Fall, dass sich meine Eltern je wieder über den Weg laufen. Das jedenfalls nicht. Es ist, als wäre er nie weggefahren und hätte uns in der Auffahrt stehen lassen. Es ist, als hätte es keine Scheidung gegeben. Nicht einmal eine Trennung.
    «Wie lange kannst du bleiben?», fragt sie.
    «Eine Weile», antwortet er. «Lange genug.»
    Sie schließt die Augen. Lächelt dieses wunderschöne Lächeln. Als sie die Augen wieder öffnet, stehen Tränen darin. Tränen vor Glück. Mein Vater bringt meine Mutter dazu, vor Glück zu weinen.
    Carolyn, die im Hintergrund steht, räuspert sich leise. «Ich mach mich dann jetzt auf den Weg. Ich glaube, du brauchst mich heute nicht mehr.»
    Mama nickt. «Danke, Carolyn. Und wenn du mir einen Riesengefallen tun könntest, erwähn bitte nichts hiervon. Zu niemandem. Nicht mal in der Kongregation. Bitte.»
    «Natürlich nicht», sagt Carolyn, und dann macht sie die Tür zu.
    Endlich scheint Mama zu merken, dass ich auch da bin. «Hi, Süße.»
    «Hi», antworte ich wie benommen und kann den Blick nicht von den Händen meiner Eltern lösen, die immer noch verbunden sind.
    «Wie war dein Tag heute?», fragt sie, in ihrer Stimme dieser schelmische Unterton, den ich seit Wochen schon nicht mehr gehört habe.
    «Oh, ganz toll. Ich habe gerade herausgefunden, dass mein Vater ein Engel ist», sage ich lässig. «Hat mir irgendwie den Verstand aus dem Kopf geblasen.»
    «So was in der Art habe ich mir schon gedacht.»
    «Das ist es jetzt, ja? Das, was du mir nicht erzählen wolltest?»
    Ihre Augen funkeln. Es haut mich um, sie so glücklich zu sehen. Man kann einfach nicht wütend auf sie sein, wenn sie so aussieht.
    «Ich habe so lange darauf gewartet, es dir erzählen zu können. Du hast ja keine Ahnung.» Sie lacht, ganz leise, aber deutlich entzückt. «Aber jetzt brauche ich erst mal zwei Dinge. Eine Tasse Tee. Und deinen Bruder.»
    Papa meldet sich freiwillig zum Teekochen. «Ich denke, ich weiß noch, wie das geht», sagt er und macht sich auf den Weg in die Küche.
    Was bedeutet, dass ich Jeffrey holen muss.
    Er ist in seinem Zimmer, wie üblich. Laute Musikbeschallung. Wie üblich. Er hat wahrscheinlich nicht mal das Klingeln an der Tür gehört. Oder es ist ihm egal gewesen. Er liegt auf dem Bett, liest seine Sportzeitschrift, hat immer noch den Schlafanzug an, obwohl es bald Mittag ist. Faule Socke. Wo war er, als ich bis über beide Ohren in der Wäsche hing? Wütend funkelt er mich an, als ich hereinkomme. Wie üblich.
    «Kannst du nicht anklopfen?»
    «Hab ich doch. Du solltest vielleicht mal dein Gehör testen lassen.»
    Er streckt die Hand aus und stellt die Stereoanlage leiser. «Was willst du?»
    Ich kann mich nicht entscheiden, was genau ich ihm erzählen soll oder

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