Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)
lesen?»
«Ja. Aber bei Gefühlen bin ich besser. Wie du.»
Wie ich. Ich kann nicht anders, ich muss den Kopf schütteln, so verrückt ist die Vorstellung, dass er und ich einander ähnlich sind, wenn auch nur in diesem einen winzigen Punkt.
«So, da wären wir dann also in Idaho Falls.» Ich schaue auf die Uhr. Vier Uhr nachmittags. Für den Weg hierher haben wir zwanzig Minuten gebraucht, mit dem Auto hätte die Fahrt normalerweise zwei Stunden gedauert. Wir sind ziemlich schnell geflogen.
«Was wollen wir eigentlich hier?», frage ich.
«Ich will dir ein neues Auto kaufen.»
Welches Mädchen im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte würde dazu wohl nein sagen.
Es stellt sich heraus, dass Papa unglaublich gut im Handeln ist. Für den weißen Subaru Forester, mit dem wir schließlich wegfahren, haben wir bestimmt den allerniedrigsten Preis gezahlt, der überhaupt möglich war.
Ich fahre uns nach Hause, denn ein Auto hat Papa auch schon sehr lange nicht mehr gesteuert. Ich überlege, ob wohl was Regelmäßiges daraus wird, dass ich Zeit mit ihm verbringen kann. Oder ob er, wenn Mama nicht mehr da ist, auch verschwindet.
«Ich werde hier sein, so lange du mich willst», sagt er. «Nicht pausenlos jede Minute, so wie ihr hier die Dinge seht, aber in gewisser Weise werde ich immer bei dir sein.»
«Es hat mit der Zeit zu tun, ja? Mama hat schon versucht, mir das zu erklären.»
«Für dich ist Zeit wie eine auf Papier gezogene Linie, eine Abfolge von Ereignissen. Erst A, dann B, dann C, ein Moment folgt auf den anderen. Wo ich herkomme, gibt es keine Linien. Wir sind das Papier.»
«Okay, jetzt hast du mich komplett verwirrt.» Ich parke den Wagen bei einer Tankstelle am Rainy Creek Country Store.
«Du verstehst das schon, eines Tages.»
«Ich freu mich schon drauf.»
«Wo sind wir hier?», fragt er.
«Swan Valley. Du musst hier unbedingt das eckige Eis in der Waffel probieren.»
«Eckiges Eis in der Waffel?», wiederholt er mit verständnislosem Blick, als wäre das schon wieder so eine neumodische Sache, von der er noch nie gehört hat.
«Siehst du, du weißt auch nicht alles. Jetzt kann ich dir auch mal was beibringen.»
Wir holen uns unser Eis, das mit speziellem Eisportionierer perfekt quadratisch geformt wird. Papa nimmt Schokoladen-Minz-Geschmack, ich Erdbeere.
«Du warst noch ganz klein, da warst du schon mein Erdbeermädchen», sagt er, als wir aus der Eisdiele kommen. «In Mountain View hatte deine Mutter hinterm Haus Erdbeeren gepflanzt, und wenn wir dich nicht finden konnten, bist du oft dort gewesen und hast Erdbeeren gefuttert, von oben bis unten mit dem Saft beschmiert. Deine Mutter hatte ziemlich viel Arbeit damit, die Flecken aus deinen kleinen Anziehsachen herauszubekommen.»
«Das weiß ich gar nicht mehr.» Ich setze mich auf eine Bank. Er bleibt einen Moment hinter mir stehen, dann setzt er sich neben mich. Wir schauen auf das dämmrig werdende Licht über den Bergen und horchen auf das Rieseln eines kleinen Bachs, der ganz in der Nähe vorbeiplätschert, auf die Geräusche der Autos, die auf der Landstraße vorbeifahren, und zusammen ergibt das einen richtigen Rhythmus. «Ich weiß vieles nicht mehr», gebe ich zu.
«Ich weiß. Du warst ja noch so klein.»
«Ich weiß noch, wie du dich rasiert hast.»
Er lächelt. «Ja. Das hat dich sehr beeindruckt. Du wolltest dich unbedingt auch rasieren. Da hatte deine Mutter die geniale Idee, alte Kreditkarten in Form von Rasierklingen zurechtzuschneiden, und du hast dich dann auf den Waschbeckenrand gesetzt und dich gleichzeitig mit mir rasiert.»
«Merkwürdig, dass ein Engel sich rasieren muss.»
Er reibt sich mit der Hand über sein glattes Kinn. «Muss ich nicht. Obwohl ich, in meinem Beruf, manchmal gezwungen bin, einen Bart zu tragen.»
In seinem Beruf . Ich lasse mir das Wort durch den Kopf gehen.
«Damals, mit deiner Mutter, waren die Dinge anders für mich, was das Körperliche anging. Ich musste mich rasieren, mich waschen, musste essen und trinken.»
«Und jetzt musst du das nicht?»
«Ich kann. Aber ich muss nicht.» Er nimmt ein Riesenstück von seinem Eis in den Mund und zerbeißt das Hörnchen. Das Eis tröpfelt ihm aufs Kinn, und er versucht, es wegzuwischen. Ich reiche ihm eine Serviette.
«Weil du einen anderen Körper hast.»
«Wir bestehen aus zwei Teilen, wir alle», sagt er. «Aus Körper und Geist.»
«Das heißt, der Körper ist das Greifbare. Und der Geist ist … ein Geist eben», sage ich.
«Bei
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