Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)
ihn auf. «Man nennt sie auch Handy.»
«Ja sicher, wir zwei führen ja auch diese ulkigen kleinen intimen Gespräche gern übers Telefon», schießt er zurück.
Einen Moment lang herrscht Stille, dann fangen wir beide an zu lachen. Er hat recht. Ich habe keine Ahnung, wieso es so einfacher geht, aber es ist so. Hier draußen können wir endlich reden. Es ist ein richtiges, echtes Wunder.
Er dreht sich zu mir um, seine Knie berühren meine. In dem schwachen Licht, das aus meinem Fenster scheint, sind seine Augen von einem tiefen, dunklen Grün.
Er sagt: «In deinem Traum, der Zaun, den du erwähnt hast, das ist ein Viereckgeflecht zu deiner Rechten, als du den Hügel hochgehst.»
«Ja, woher weißt du …»
«Und die Stufen, die du siehst, da wächst Moos an den Rändern, und es gibt ein Geländer aus Metall, schwarz angestrichen?»
Ich starre ihn an. «Stimmt.»
«Und auf der linken Seite, neben der Treppe, gibt es eine Steinbank», fährt er fort. «Und einen Rosenstrauch, direkt daneben. Aber die Rosen blühen nicht – da oben ist es zu kalt für Rosen.»
Einen Moment schaut er weg. Ein plötzlicher Windhauch bewegt sein Haar, und er streicht es sich wieder aus dem Gesicht.
«Du hast den gleichen Traum, ja?», flüstere ich.
«Nicht genau den gleichen. Ich meine, ich träume andauernd von der Stelle, aber …» Er seufzt, rutscht nervös hin und her, dann sieht er mich an.
«Ich bin nicht daran gewöhnt, über so was zu reden», sagt er. «Ich bin inzwischen eine Art Profi, wenn es darum geht, darüber nicht zu reden.»
«Ist schon gut …»
«Nein, ich will es dir ja erzählen. Du solltest es wissen. Aber ich wollte es dir nicht vor Angela sagen.»
Ich ziehe mir mein Shirt bis zum Kinn hoch und schlinge dann die Arme um den Oberkörper.
«Meine Mutter ist gestorben», sagt er schließlich. «Als ich zehn war. Ich weiß nicht mal, wie es passiert ist. Mein Onkel redet nicht gern darüber, aber ich glaube … Ich glaube, sie wurde von einem Schwarzflügel getötet. An dem Tag war sie zuerst noch da, hat mit mir beim Frühstück lange Divisionsrechenaufgaben gemacht, hat mich vor den Jungs in der Schule zum Abschied geküsst, was mir total peinlich war …» Seine Stimme zittert. Er schweigt, sieht weg, räuspert sich leise. «Dann, im nächsten Moment, holen sie mich aus der Klasse raus. Sie sagen, es hat einen Unfall gegeben. Und sie ist verschwunden. Ich meine, ich habe ihren Leichnam gesehen. Aber sie war nicht mehr in diesem Körper. Es war einfach nur … ein Körper.»
Dann sieht er mich wieder an, seine Augen leuchten. «Ihr Grabstein ist eine Bank. Eine weiße Steinbank, unter Espen.»
Plötzlich fühlt sich mein Kopf irgendwie umwölkt an. «Was?»
«Der Friedhof wurde nach den Espen benannt. Aspen Hill Cemetery », sagt er. «Es ist kein richtiger Friedhof … na ja, es ist schon ein richtiger Friedhof, mit Gräbern und Blumen und so was, aber es gibt dort auch diesen Wald, dieses wunderschöne Gelände unter den Bäumen, wo es ganz ruhig ist und man in der Ferne die Teton-Berge sieht. Es ist der friedlichste Ort, den ich kenne. Ich fahre manchmal hin, um nachzudenken und …»
Und mit seiner Mutter zu sprechen. Er fährt dorthin, um mit seiner Mutter zu sprechen.
«Also als du das mit der Treppe erwähnt hast und mit dem Hügel und dem Zaun, da wusste ich sofort Bescheid», sagt er leise.
«Du wusstest, dass ich von dem Friedhof träume», sage ich.
«Tut mir leid», flüstert er.
Ich schaue zu ihm auf, unterdrücke einen Schrei, denn auf einmal ergibt alles einen Sinn: die Leute in den Anzügen und ich im schwarzen Kleid, alle gehen in die gleiche Richtung, der Kummer, den ich empfinde, die Art, wie alle mich so feierlich ansehen, der Trost, den Christian mir zu spenden versucht.
Es ist nicht der Kummer des Schwarzflügels, den ich in dem Traum spüre. Es ist mein Kummer.
Jemand, den ich liebe, wird sterben.
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Such mir einen Traum
«Clara? Jemand zu Hause da drin?»
Meine Mutter knufft mich in die Schulter. Ich blinzele kurz, dann lächle ich Miss Baxter an, die Studienberaterin. Sie lächelt zurück.
«Also, was denkst du?», fragt sie. «Hast du dir schon überlegt, in welche Richtung du gehen willst? Hast du irgendwelche Visionen von deiner Zukunft?»
Ich werfe rasch einen Blick zu Mama hinüber. Oh, Visionen habe ich reichlich. «Sie meinen, auf welches College ich vielleicht gehen will?», wende ich mich an Miss Baxter.
«Na ja, die
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