Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)
irgendwie damit fertigzuwerden.
«Also, weißt du, Ma», sagt Tucker. «Das schmeckt wirklich fantastisch. Ich glaube, ich hab dir bisher nie gesagt, was für eine tolle Köchin du bist.»
«Oh, danke, mein Junge», antwortet sie und scheint angenehm überrascht. «Das hast du wirklich noch nie gesagt.»
Wendy und Mr Avery lachen.
«Ich glaube, er ist irgendwie geläutert», sagt Mr Avery.
Das scheint eine Art Stichwort zu sein, und plötzlich reden alle über die Waldbrände.
«Ich will euch was sagen», meint Mr Avery, spießt ein Stück Fleisch auf seine Gabel und fuchtelt damit herum. «Wenn sie den Mistkerl, der diese Brände gelegt hat, je erwischen, dann knöpf ich mir den vor.»
Mein Kopf schnellt hoch. «Da war ein Brandstifter am Werk?», frage ich, und auf einmal hämmert mein Herz wie wild.
«Na ja, es heißt, der eine hatte natürliche Ursachen, einen Blitzschlag zum Beispiel», sagt Wendy. «Aber bei dem anderen war es Brandstiftung. Die Polizei hat zwanzigtausend Dollar Belohnung ausgesetzt für Informationen, die zu einer Verhaftung führen.»
Vielleicht sollte ich mir doch öfter mal die Nachrichten im Fernsehen ansehen. Die Polizei geht tatsächlich von Brandstiftung aus. Ich überlege, was sie wohl tun würden, wenn sie herausfänden, wer für den Waldbrand verantwortlich ist. Also, äh, tja, Officer, ich glaube, der Mann, der den Brand gelegt hat, war gut ein Meter neunzig groß. Schwarzes Haar. Bernsteinfarbene Augen. Große schwarze Flügel. Anschrift: Hölle. Beruf: Anführer der Wächter. Geburtsdatum: zu Beginn der Zeitrechnung.
Mit anderen Worten, diese zwanzigtausend Dollar wird kein Mensch je zu Gesicht kriegen.
«Also, ich hoffe sehr, dass sie ihn schnappen», sagt Mr Avery. «Ich würde so einem gern mal in die Augen sehen.»
«Ach, Papa», sagt Tucker leicht genervt. «Hör doch jetzt auf damit.»
«Nein.» Mr Avery räuspert sich. «Das war dein Land, das Erbe, das dein Großvater dir hinterlassen hat, das war alles, wofür du je gearbeitet hast, dein Truck, dein Trailer, dein Pferd, all die vielen Nebenjobs, das ganze Geizen und Knausern, damit du die Rodeo-Gebühren aufbringen kannst, die Ersatzteile, das Benzin für den Truck. Jahrelang hast du dich krumm geschuftet, geschwitzt und immer noch mehr geschwitzt, stundenlang trainiert, und deshalb hör ich jetzt nicht einfach auf damit.»
«Moment mal», sage ich, und erst jetzt fällt der Groschen bei mir. «Das Feuer in den Palisades, das soll Brandstiftung gewesen sein?»
Mr Avery nickt.
Also nicht das Feuer, das Samjeeza heraufbeschworen hat, um meine Mutter und mich vom Static Peak zu vertreiben. Das andere Feuer. Jemand hat mit voller Absicht im Wald Feuer gelegt?
«Das ist doch jetzt auch egal», sagt Tucker leichthin. «Es ist vorbei. Schluss, aus. Ich bin nur froh, dass ich noch am Leben bin.»
Ja, ich auch. Und genau in dem Moment muss ich denken: Was kann ich nur tun, damit es so bleibt?
Später gehen Tucker und ich nach draußen auf die Veranda, und wir setzen uns in die Hollywood-Schaukel. Es ist kalt, eisig kalt eigentlich, aber es scheint uns beiden nichts auszumachen. Die Sterne sind nicht zu sehen, es ist zu bewölkt. Nachdem wir eine Weile dagesessen haben, fängt es an zu schneien. Wir gehen nicht rein. Wir liegen da in der Schaukel, schwingen hin und her, und unsere Atemluft vermischt sich und steigt in Nebelwölkchen über unseren Köpfen nach oben.
«Der Himmel stürzt ein», flüstere ich und sehe den Atemwolken nach, die mit dem Wind wegschweben.
«Ja», sagt er. «Sieht fast so aus.» Er richtet sich in der Schaukel auf und sieht mir ins Gesicht, und ohne irgendeinen besonderen Grund hämmert mein Herz auf einmal in Schallgeschwindigkeit.
«Bist du okay?», fragt er. «Die ganze Woche bist du schon so angespannt. Was ist denn los?»
Ich schaue ihn an und denke, dass ich ihn verlieren könnte, und auf einmal füllen sich meine Augen mit Tränen. Und Tränen – egal, von wem, aber besonders von mir – gehen Tucker echt an die Nieren.
«He», flüstert er, und sofort nimmt er mich fest in die Arme. Ich liege an seiner Schulter und schniefe eine Weile, dann reiße ich mich zusammen, schaue auf und versuche zu lächeln.
«Mir geht’s gut», sage ich. «Ich bin bloß ein bisschen gestresst.»
Er runzelt die Stirn. «Engelzeug», sagt er und meint das nicht einmal als Frage. Jedes Mal, wenn mich was belastet, meint er, es muss Engelzeug sein.
Ich wünschte, ich könnte es ihm sagen.
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