Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)
sie vor der Brust verschränkt.
«Also», sagt sie schließlich, und ihre Stimme ist so scharf wie lauter kleine Eissplitter. «Tuckers Mutter hat vor ein paar Minuten angerufen. Sie hat mich gefragt, ob ich weiß, wo meine Tochter ist, denn als sie das letzte Mal nachgesehen hat, warst du im Bett ihres Sohnes.»
«Tut mir so leid», stammele ich. «Ich bin rüber zur Lazy Dog Ranch, weil ich Tucker sehen wollte, und da bin ich eingeschlafen.»
Ihre Hände verkrampfen sich zu Fäusten. «Clara …» Weiter sagt sie nichts, holt erst mal tief Luft. «Ich werde das nicht tun», sagt sie. «Das kann ich einfach nicht.»
«Es ist nichts passiert», erkläre ich.
Sie schnaubt verächtlich. Sieht mich mit einem Blick an, der mir sagt, ich möchte doch bitte ihre Intelligenz nicht beleidigen.
«Na gut, es ist beinahe etwas passiert.» Wenn ich bei der Wahrheit bleibe, wertet sie das vielleicht als Zeichen von gutem Willen, überlege ich. «Aber wirklich passiert ist nichts. Ich bin eingeschlafen. Das ist alles.»
«Oh, da bin ich ja wirklich beruhigt», erwidert sie sarkastisch. «Es ist beinahe etwas passiert, aber dann doch nicht. Na toll. Wunderbar. Ich bin ja so erleichtert.» Plötzlich schüttelt sie den Kopf. «Ich will nichts mehr hören über letzte Nacht. Jetzt reicht es, mein Fräulein. Und wenn ich dein Fenster vernageln muss, du bleibst in Zukunft hier, in deinem eigenen Bett, in deinem eigenen Zuhause, jede Nacht. Hast du das begriffen?»
«Und außerdem», fährt sie fort, als ich nicht antworte, «werdet ihr zwei, Tucker und du, euch nicht mehr unter vier Augen sehen.»
Ich werde laut. «Was?»
«Du darfst nicht mehr mit ihm allein sein.»
Auf einmal scheine ich kaum noch Luft zu bekommen. «Für wie lange?»
«Keine Ahnung. Bis ich herausgefunden habe, was ich mit dir machen soll. Ich finde, ich bin ziemlich großzügig dir gegenüber, wenn man bedenkt, was du dir geleistet hast.»
«Was hab ich mir denn geleistet? Wir sind doch nicht mehr im Jahr 1900, Mama.»
«Das weiß ich, das kannst du mir glauben», sagt sie.
Ich bemühe mich, ihr fest in die Augen zu sehen. «Du darfst mir nicht verbieten, Tucker zu sehen, Mama.»
Sie seufzt. «Willst du mich wirklich zwingen, jetzt so was zu sagen wie: Solange du die Füße unter meinen Tisch stellst, machst du, was ich sage? Doch wohl nicht, oder?», und sie hört sich erschöpft an, sie reibt sich die Augen, als hätte sie im Moment weder die Zeit noch die Kraft, sich mit mir abzugeben.
Trotzig recke ich das Kinn. «Willst du mich wirklich zwingen auszuziehen, damit ich mit meinem Leben tun kann, was ich will? Denn das werde ich.»
Ich bluffe bloß. Ich weiß gar nicht, wohin, und Geld hab ich auch nicht und keinen Platz sonst auf der Welt als dieses Haus hier.
«Wenn es denn sein muss», sagt sie sanft.
So, das war’s. Mir steigen demütigende Tränen in die Augen. Ich weiß ja, sie hat allen Grund, sauer zu sein, aber das ist mir egal. Ich schreie ihr alles entgegen, was ich seit Monaten schon sagen wollte: Wieso bist du so? Wieso ist dir Tucker total egal? Siehst du denn nicht, wie gut wir zusammenpassen? Und wenn Tucker dir schon egal ist, ist dir auch mein Glück egal?
Sie lässt mich brüllen. Ich habe meinen Wutanfall, und sie schaut mit beinah peinlich berührtem Gesichtsausdruck auf den Fußboden und wartet, bis ich fertig bin. Als dann nichts mehr von mir kommt, sagt sie: «Ich habe dich sehr lieb, Clara. Und Tucker ist mir nicht egal, überhaupt nicht egal, auch wenn du mir das nicht glaubst. Und ganz und gar nicht egal ist mir dein Glück. Aber am allerwichtigsten ist mir deine Sicherheit.»
«Hier geht es nicht um meine Sicherheit», sage ich bitter. «Hier geht es darum, dass du die Kontrolle über mein Leben willst. Was sollte bitte bei Tucker gefährlich für mich sein? Ganz im Ernst, wieso sollte ich da nicht sicher sein?»
«Ganz einfach: Du bist nicht das Einzige da draußen in der Nacht!», ruft sie. «Als ich aufgewacht bin und du warst nicht da …» Sie schließt die Augen. Ihre Kiefermuskeln spannen sich an. «Du bleibst hier im Haus. Und du wirst Tucker, unter Aufsicht, treffen, wenn ich es für angemessen halte.» Sie steht auf und will gehen.
«Aber er wird sterben», platzt es aus mir heraus.
Sie bleibt stehen, die Hand hat sie schon am Türknauf. «Was?»
«Ich habe immer wieder diesen Traum – eine Vision, glaube ich – vom Friedhof in Aspen Hill. Ich bin auf einer Beerdigung. Und Tucker ist nicht da,
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