Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)
ich, dann drehe ich mich um und schmiege mein Gesicht an seinen Hals, lege die Arme um ihn, und so bleibe ich liegen, bis er eingeschlafen ist.
Ich wache auf, als jemand die Vorhänge aufzieht, und was ich sehe, ist Mr Avery, im Overall, mit dem Rücken zu mir, der aus dem Fenster schaut, wo die Sonne gerade eben über das Scheunendach gestiegen ist.
«Jetzt aber raus aus den Federn, Junge», sagt er. «Die Kühe melken sich nicht selbst.»
Dann dreht er sich um. Und sieht mich. Und der Mund bleibt ihm offen stehen. Mein Mund steht auch weit offen, mein Atem stockt, als ob Tuckers Vater vielleicht nicht merkt, dass ich hier bin, wenn ich einfach nicht atme. So starren wir einander an wie zwei gestrandete Fische.
Draußen kräht ein Hahn.
Tucker brummelt etwas. Dreht sich um, zieht mir die Decke weg.
Ich reiße die Decke wieder an mich, um meinen BH zu bedecken. Zum Glück habe ich noch meine Jeans an, sonst sähe es wirklich echt übel aus.
Es sieht auch so echt übel aus.
Richtig echt übel.
«Ähm», sage ich, aber mein Gehirn ist wie ein riesiger Eisblock. Ich kriege die Worte nicht herausgemeißelt. Ich strecke die Hand aus und schüttele Tucker. Fest. Noch fester, als er nicht gleich reagiert.
«Es kann doch noch nicht halb sieben sein», stöhnt er.
«Oh, ich glaube doch», bringe ich heraus.
Plötzlich schnellt er hoch. Jetzt starren wir uns alle drei an wie Fische. Dann macht Mr Avery den Mund so schnell zu, dass ich das Klacken seiner aufeinanderschlagenden Zähne höre, anschließend dreht er sich um und verlässt das Zimmer. Fest macht er die Tür hinter sich zu. Wir hören seine Schritte, als er die Treppe hinunter und den Flur entlang in die Küche geht. Wir hören Mrs Avery sagen: «Ah, schön, hier ist dein Kaffee, Liebling …» Dann nichts mehr. Er spricht zu leise, wir können nichts hören.
Ich schnappe mein Shirt, ziehe es mir über den Kopf und suche total in Panik nach meinen Schuhen.
Tucker macht etwas, das ich von ihm fast noch nie gehört habe.
Er flucht.
«Soll ich bleiben und versuchen, es zu erklären?», frage ich.
«Nein», sagt er. «O nein, nein , tu das bloß nicht. Du solltest einfach … gehen.»
Ich mache das Fenster auf, drehe mich noch mal um. «Tut mir leid. Ich hatte nicht vor einzuschlafen.»
«Mir tut es nicht leid.» Er schwingt die Beine aus dem Bett, steht auf und kommt zu mir rüber, gibt mir einen schnellen, aber zärtlichen Kuss auf den Mund, hält mein Gesicht in den Händen und sieht mir in die Augen. «Verstanden? Mir tut es nicht leid. Das war es wert. Ich werde jetzt einfach tapfer sein.»
«Verstanden.»
«Es war schön, dich kennengelernt zu haben, Clara», sagt er.
«Hä?» Mein Gehirn steht immer noch unter Schock.
«Sprich ein Gebet für mich, ja?» Er lächelt unsicher. «Ich bin nämlich ziemlich sicher, dass meine Eltern mich umbringen werden.»
Als ich nach Hause komme, wird alles nur noch schlimmer. Das Fenster von meinem Zimmer ist verriegelt.
Wahnsinn.
Ich schleiche mich durch den Hintereingang (der zum Glück nicht verriegelt ist) ins Haus und ziehe die Tür hinter mir sacht ins Schloss.
Meine Mutter arbeitet bis spät in die Nacht. In letzter Zeit schläft sie lange. Es wäre möglich, dass sie gar nichts merkt.
Aber mein Fenster ist verriegelt.
Jeffrey trinkt ein Glas Orangensaft am Küchentresen.
«O Mann», sagt er, als er mich sieht. «Du hast ganz schön viel Ärger am Hals.»
«Was schlägst du vor? Was soll ich machen?», frage ich.
«Du solltest eine ziemlich gute Ausrede parat haben. Und du solltest vielleicht weinen – das machen Mädchen doch, oder? Und eventuell solltest du schwer verletzt sein. Wenn sie dich verarzten muss, ist sie womöglich nicht so streng mit dir.»
«Danke», sage ich. «Du bist mir wirklich eine große Hilfe.»
«Ach, und Clara», ruft er mir hinterher, als ich auf Zehenspitzen die Treppe hinaufgehe. «Vielleicht willst du ja lieber dein Shirt umdrehen, damit du es nicht verkehrt rum anhast.»
Erstaunlich, aber ich schaffe es den ganzen Weg zu meinem Zimmer rauf, ohne umzufallen. Ich ziehe frische Sachen an, wasche mir das Gesicht und kämme mich, und dann denke ich schon, dass doch alles ganz prima läuft, kein Grund zur Sorge. Aber dann komme ich aus dem Bad und sehe Mama an meinem Schreibtisch sitzen.
Sie sieht wie eine ziemlich angeätzte Mama aus.
Einen Moment lang, einen Moment, der sich wie eine Ewigkeit anfühlt, sagt sie kein Wort. Sie starrt mich an, die Arme hat
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